Und ewig lockt das süße Gummizeug: Wer häufig nascht, kann seinen Genen die Schuld geben.
Foto: Mauren Veras

Wien – Für manche mag es die willkommene Erklärung dafür sein, warum man es partout nicht schafft, die Finger von der sprichwörtlichen Keksdose zu lassen: Die Auswertung medizinischer Daten von Tausenden Zwillingspaaren weist darauf hin, dass derartiges Essverhalten, das zu Übergewicht führen kann, so manchem Betroffenen in den Genen liegen könnte. Gerade das unkontrollierte Naschen zwischen den Mahlzeiten ist ein Verhaltensmuster, das sich als teilweise erblich erwiesen hat, berichten Wissenschafter von der MedUni Wien.

Liegt einem die Neigung zum Übergewicht gleichsam in der DNA, ist das jedoch kein Grund, gleich die Flinte ins Korn zu werfen. Die Studie erkläre zwar teilweise, warum manche Menschen sich schwerer tun, ihr Gewicht zu halten, die entsprechenden Gene seien allerdings alles andere als deterministisch, so die Forscher.

4.036 Zwillinge unter der Lupe

Seien es regelmäßigen nächtliche Kühlschrankplünderungen oder der automatische Griff im Vorbeigehen in die Süßigkeitenlade: Unsere individuellen Essgewohnheiten haben einen entscheidenden Einfluss auf unseren Körperumfang. Ob es sich dabei um erlerntes Verhalten handelt oder ob genetische Prädispositionen eine Rolle spielen, untersuchte nun ein Team um die Ernährungsepidemiologin Leonie-Helen Bogl an der Abteilung für Epidemiologie der MedUni Wien. Im Rahmen einer Kooperationsstudie mit der Universität Helsinki wurde Datenmaterial aus einer laufenden finnischen Kohortenstudie mit 4.036 Zwillingen im Alter von 31 bis 37 Jahren hinsichtlich genetischer Veranlagung, Essverhaltens, Body-Mass-Index und Taillenumfang ausgewertet.

Zum Einen wurden Methoden der klassischen Zwilllingsforschung angewandt, in deren Rahmen empirische Untersuchungen zur Abklärung von genetischer Prägung und umweltbedingten Faktoren gemacht werden. Zum anderen haben die Forscher polygene Risikofaktoren berechnet, die auf neuesten genomweiten Assoziationsstudien beruhen. Bei dieser Methode wird das komplette Genom Tausender Menschen nach Genvarianten durchsucht, um genetische Variationen, die mit einer bestimmten Krankheit assoziiert werden, zu finden. Heute sind bereits rund eine Million Genvarianten für Übergewicht bekannt, die das Forschungsteam zu einem genetischen "Risiko-Score" zusammenfasste.

Von "Snacking" und emotionalem Essverhalten

Die im "American Journal of Clinical Nutrition" veröffentlichte Studie identifizierte vier Verhaltensmuster: "Snacking", "unregelmäßiges und ungesundes Essen", "restriktives Essen" sowie das "emotionale Essverhalten", die alle teilweise ererbt sein dürften. Offenkundig wird dies am deutlich ähnlicheren Essverhalten zwischen eineiigen Zwillingen im Vergleich zu jenem von zweieiigen Zwillingspaaren.

Im Weiteren stellte sich heraus, dass genetische Risikofaktoren das Gewicht beeinflussen, indem sie das Essverhalten steuern. Das gilt insbesondere für das Verhaltensmuster "Snacking", das sich durch ein "Überessen" bzw. "nicht aufhören können" charakterisiert, sowie dem Naschen zwischen den Mahlzeiten und auch abends.

Den Genen gegensteuern

"Diese Ergebnisse sollen nicht entmutigen, sondern aufzeigen, warum es manche Menschen schwerer haben, ihr Gewicht zu halten, als andere. Keinesfalls sind Gene aber deterministisch", betonte Bogl. Im Gegenteil, sie liefern auch Hinweise darauf, wo man beim Abnehmen am besten den Hebel ansetzt: Therapeutische Maßnahmen zur Vorbeugung von Übergewicht könnten von bewussten Änderung von Essgewohnheiten, insbesondere bei PatientInnenen mit einem genetischen Risikoprofil, profitieren.

"Unsere Gene haben sich über Generationen hinweg kaum bis gar nicht verändert, und dennoch gibt es in Europa immer mehr Menschen mit Übergewicht und Adipositas. Mit einer ausgewogenen Ernährung, körperlicher Bewegung sowie mit ausreichend Schlaf kann man gegen die Genetik ankämpfen", so Bogl. Auch würden Studien zeigen, dass Schlafmangel zu hormonellen Veränderungen führt, die den Appetit anregen. (red, APA, 22.7.2020)