Nick Cave solo: Was nicht schon Ballade war, wird dazu gemacht.

Foto: Joel Ryan

Man könnte glauben, ein Lichtkünstler wie James Turrell oder Ólafur Elíasson wäre an Nick Caves neuestem Konzertfilm Idiot Prayer – Nick Cave Alone at the Alexandra Palace beteiligt gewesen. Denn während der australische Meister eineinhalb Stunden in der imposanten West Hall der leeren Londoner Konzerthalle seines Hochamts waltet, ist nur das Licht ein stiller zweiter Protagonist. Manchmal umspielt es ihn warm, manchmal leuchtet es ihn kalt aus. Es gibt dem Konzert seine Atmosphäre. Im Detail passiert hier viel, obwohl ja eigentlich nichts passiert:

Nick Cave sitzt am Klavier, gibt eine Nummer nach der anderen, ohne Zwischenansagen, ohne Kommentar. Textblätter und Notizblöcke, alle freilich mit der Hand geschrieben, liegen Cave zu Füßen. Pathos! Großes Kino!

Bares für Rares

Weder Turrell noch Elíasson waren beteiligt, dafür der Kameramann Robbie Ryan, der schon Giorgos Lanthimos’ hochgelobtem Film The Favourite seinen eigentümlichen Look and Feel verlieh.

Da Nick Caves Tour mit den Bad Seeds Corona-bedingt abgesagt werden musste, besann sich der Meister auf sich selbst und spielte im Juni dieses intime Solokonzert ein, das die Hits bewusst umschifft und Raritäten in sein Zentrum stellt. Publiziert wird es als einmaliger Streaming-Event, man kann Caves Messe also nur einmal beiwohnen und dabei auch nicht vor- und zurückspulen, fast wie bei einem echten Konzert. Dementsprechend kostet das Erlebnis auch um die 18 Euro.

Waidwund und verletzlich

Fans – und ja, das ganze "Theater" ist für die eingefleischten Fans gemacht – werden sich sowohl über zwei Grinderman-Nummern freuen als auch über frühes Bad-Seeds-Material und Tracks vom rezenten Album Ghosteen. Was noch nicht Ballade war, wird zur abgespeckten Ballade gemacht – Cave schafft es dabei scheinbar kinderleicht, dass Klavier und seine Interpretation völlig genügen.

Die Idee entstand aus seinem Format Conversations with Nick Cave. Während die Conversations aber auch der Kommunikation mit den Jüngern dienten, beschränkt sich dieser Klavierabend – bis auf ein gesprochenes Intro – ganz auf die Musik. Die Seher müssen die emotionale Bindung selbst herstellen. Fällt nicht schwer, so waidwund und verletzlich, wie sich Cave gibt. Idiot Prayer ist als Abschluss der Filmtrilogie bestehend aus 20,000 Days on Earth und One More Time with Feeling gedacht.

Am Schluss steht der Heiland dann auf und geht ins Licht. (Amira Ben Saoud, 23.7.2020)