Irgendwo zwischen Drama, Thriller und Komödie: Als Sibyl sucht Virginie Efira (Mitte) ihren Platz im Leben. Der dritte Spielfilm der französischen Regisseurin Justine Triet.

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"Keep the drama fictional, if you don’t mind", ermahnt die gereizte Regisseurin Mika das aneinanderrasselnde Filmpaar beim Dreh auf – ausgerechnet! – Stromboli. Margot und Igor, der komplizierterweise mit Mika (Sandra Hüller) verheiratet ist, hatten eine intensive Affäre gehabt, bevor sie nach einer abgebrochenen Schwangerschaft ein hässliches Ende fand. Nun muss Sibyl (Virginie Efira), Margots extra auf die Insel eingeflogene Therapeutin, nicht nur zwischen den Parteien vermitteln, sondern auch einmal als Anspielpartnerin einspringen.

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Die Grenzen zwischen Wirklichkeit, Fiktion und Flashback sind zu diesem Zeitpunkt schon längst kollabiert. Dabei glaubte Sibyl in ihrer Doppelrolle als Therapeutin und Autorin nicht nur einen Roman zu schreiben, sondern auch gleich noch das eigene Leben.

Sibyl war einmal eine andere Frau, bevor sie in der stabilen Fassung eines bürgerlichen Lebens mit Kleinfamilie und seriösem Beruf einrastete: ungezügelt, betrunken, ein bisschen "under the influence". Nachdem sie sich mit dem Schreiben eines ersten Romans aus dem Abgrund gezogen hatte, ließ ihre große Liebe sie prompt schwanger sitzen. Sibyl sattelte um auf Therapeutin, an ihr Vorleben erinnern jetzt nur noch die regelmäßigen Besuche bei den Anonymen Alkoholikern.

Gescheiterte Psychotherapie

Doch nach zehn Jahren möchte sie wieder an ihre eigentliche Leidenschaft anknüpfen. Während sie ihre Klientel fast vollständig entlässt, drängt sich ihr eine neue Patientin mit aller Hartnäckigkeit auf. Angesichts der Schreibblockade kommt ihr die in Tränen aufgelöste junge Schauspielerin (Adèle Exarchopoulos) gerade recht.

Margots Dramen haben das Format einer Soap-Opera, die verzweifelte Frau diktiert ihr den Roman praktischerweise direkt in die Feder. Gleichzeitig findet aber auch genau jener gefährliche Prozess statt, den die Psychoanalyse so fürchtet wie der Teufel das Weihwasser. Als Margot ihr einmal eine intensive geteilte sexuelle Erfahrung beschreibt, spricht sie von "Transfusion".

Und genau eine solche findet nun zwischen Therapeutin und Patientin statt. Sibyl erkennt in Margot ihr früheres Ich wieder, ihre jahrelange Verstellung bröckelt, Erinnerungen an den verflossenen Liebhaber nehmen von ihr Besitz. "Autoren nehmen ihre Leser als Geiseln", hatte ein Verleger anfangs geschlaumeiert. Dabei ist immer weniger klar, wer hier wen schreibt und in Haft nimmt.

Klischee mit Doppelboden

Justine Triets inzwischen dritter Spielfilm ist ein merkwürdiges Amalgam aus Drama, Thriller und Komödie. Seine Grundkonstellation ist abgegriffen – und die dahinterstehende Idee von Kreativität und schwüler Erotik wirkt auch nicht mehr ganz frisch. Andererseits ist Sibyl – Therapie zwecklos bei aller Klischeehaftigkeit so doppelbödig und chaotisch, dass es schon wieder irritiert.

Auch wenn Triet die Metaebenen weit weniger glücken als etwa Olivier Assayas in Zwischen den Zeilen – die Film-im-Film-Realität ist ebenso verschenkt wie der ganze Schreibplot –, kommen die Unstimmigkeit und das Durcheinander an Einfällen und Tonalitäten dem Film eher zugute.

Triet lässt die manipulativen Kräfte und neurotischen Energien komplett unberechenbar zwischen den Figuren zirkulieren. Schwer zu sagen, wer hier das größere Rad abhat: die erpresserische Margot, die hypernervöse und von Sandra Hüller leicht übergeschnappt gespielte Mika oder Sibyl, die fast den Eindruck macht, sie habe ihre drohende Destabilisierung all die Jahre auch ein bisschen herbeigesehnt.

Triet beschwert die Oberfläche eines properen Klassizismus immer wieder mit unerwarteten Abgründigkeiten und Boshaftigkeiten. Etwa dann, wenn Sibyls Schwester ihrer kleinen Nichte eintrichtert, wie sie ihre Mutter manipulieren kann: "Das wird dir später nützen." (Esther Buss, 22.7.2020)