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Normalerweise liegt der 700 Jahre alte Guanyin-Tempel dutzende Meter über dem Jangtsekiang. Doch nun droht das Wahrzeichen der Millionenstadt Ezhou nahe Wuhan weggespült zu werden.
Foto: Chinatopix Via AP

In der chinesischen Geschichte waren es früher stets Naturkatastrophen, die das Ende einer Dynastie ankündigten. Im Volksglauben teilte der Himmel auf diese Weise seinen Unmut über das Herrscherhaus mit und kündigte dessen Ende an. Hätte die Kommunistische Partei Aberglauben und Religion in China nicht schon längst eliminiert, sie käme derzeit vielleicht in eine Legitimationskrise. Gerade gelang es der Führung in Peking nach einem anfänglichen Missmanagement, die Corona-Pandemie mit drakonischen Maßnahmen unter Kontrolle zu bringen – und nun wird das Land von einer Flutkatastrophe heimgesucht.

1,5 Millionen Kubikmeter Erde rutschten am Dienstag ab und fielen nahe der Stadt Enshi in der Provinz Hubei in einen Zufluss des Jangtsekiang (Yangze). In der Folge evakuierten die Behörden tausende Menschen. Sorgen machten sich die Behörden auch tagelang um die Elf-Millionen-Einwohner-Metropole Wuhan, die bereits von der Corona-Pandemie besonders hart getroffen worden war. Doch zuletzt wurde gemeldet, dass der Wasserspiegel nicht weiter steige. Auch in den anliegenden Provinzen Anhui und Jiangxi gilt die höchste Alarmstufe. Auch Truppen der Volksbefreiungsarmee sind seit Tagen im Kampf gegen die Wassermassen im Einsatz.

Drei-Schluchten-Damm

Am Freitag hatte Präsident Xi Jinping ein Sondertreffen anlässlich der Flutkatastrophe einberufen. Betroffen sind rund 24 Millionen Menschen, 140 Menschen haben ihr Leben verloren oder gelten als vermisst. Ein Grund für die massiven Regenfälle der vergangenen Tage könnte der Klimawandel sein. Song Lianchun, Direktor des Nationalen Klimazentrums in China, sagte, dass sich die Regenmenge pro Jahrzehnt um etwa vier Prozent erhöht habe.

Chongqing, eine Megastadt mit 30 Millionen Einwohnern in Südwestchina, steht seit Wochen unter Wasser und leidet unter den stärksten Regenfällen seit zwei Jahrzehnten. Rund 500 Kilometer flussabwärts befindet sich die Drei-Schluchten-Talsperre. Der Damm wurde 2006, das dazugehörige Kraftwerk 2012 fertiggestellt. Das Wasserkraftwerk ist mit einer Leistung von 22,5 Gigawatt das größte der Welt.

Der Bau des Damms wurde von Umweltaktivisten immer wieder scharf kritisiert. Da die Dämme auch Sedimente aufstauen, haben die flussabwärts liegenden Gebiete nicht mehr die Fähigkeit, Wassermassen aufzunehmen. Auf der anderen Seite litt die Region vor dem Bau des Damms immer wieder unter Überschwemmungen. Allein 1954 verloren rund 30.000 Menschen ihr Leben.

"Panikmache"

Der Wasserstand im Auffangbecken liegt nun 15 Meter oberhalb des Limits. Am vergangenen Samstag, dem Tag mit den bisher stärksten Regenfällen, flossen 61 Millionen Liter pro Sekunde. Der Damm kann Wassermassen bis zu 83,7 Millionen Liter pro Sekunde aushalten. Ein Bruch der Talsperre würde zu einer Flutkatastrophe sondergleichen führen.

Die Staatszeitung Global Times wies die Befürchtungen als "Hysterie" und "Panikmache westlicher Medien" zurück. Einige ausländische Medien seien "besessen von diesem Damm, nur weil er in China steht". Die "Desinformationskampagne", wonach sich der Damm durch den Druck verforme, sei frei erfunden.

Die amerikanisch-chinesischen Beziehungen sind seit Monaten angespannt und befinden sich in einer Eskalationsspirale, die beide Seiten immer aggressiver auftreten lässt.

Zwar liegt die größte Aufmerksamkeit derzeit auf dem Drei-Schluchten-Damm. Eine größere Gefahr geht gemäß vielen Experten aber von den rund 94.000 kleineren Dämmen aus, die in China zwischen 1950 und 1960 errichtet wurden.

Gezielte Sprengung

Am Wochenende sprengten die Behörden einen Damm in der Provinz Anhui, um eine Überflutung zu verhindern. Die Verantwortlichen hofften so, den Pegel im Chu-Fluss um 70 Zentimeter senken zu können. Am 7. Juni war bereits ein Damm in Yangshuo in der Provinz Guilin gebrochen. Lokale Medien hatten darüber nicht berichtet. (Philipp Mattheis, 22.7.2020)