Kommen sich in "Gangs of London" näher: Sope Dirisu (li.) als Vollstrecker mit versteckter Agenda und Joe Cole als neues Gang-Oberhaupt, das auf Rache sinnt.

Foto: Sky UK Limited

Sope Dirisu im Einsatz im Einsatz als Elliot Finch.

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Trauern um den irischen Gang-Boss (von links): Lucian Msamati, Valene Kane, Joe Cole, Brian Vernel und Michelle Fairley.

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Am Anfang steht die Welt kurz kopf. Zu sehen ist eine düstere Skyline voller Wolkenkratzer und Baukrane. Es ist der Blick eines Gefesselten, der kopfüber an einem Seil hängt, bevor er mit Benzin übergossen wird und in Zeitlupe wie eine brennende Fackel in die schwarze Tiefe stürzt. Nicht New York, sondern London hat für diese Version einer Gotham City ohne Superhelden Pate gestanden. Der junge Mann, der in dunkler Nacht allem Flehen zum Trotz zum tödlichen Zündholz greift, sinnt auf Rache. Sein Vater, ein einflussreicher Unterwelt-Boss, wurde ermordet.

Schnell und schmerzvoll

Die Eingangssequenz von Gangs of London gewährt einen Vorgeschmack auf das elaborierte Töten und Knochenbrechen, das in der Serie von Gareth Evans und Matt Flannery ab Donnerstag auf Sky zu sehen ist. Sie ist auch eine Publikumswarnung. Selbst eine Schlägerei im Pub wartet mit der Verwendung von Dartpfeilen und eines Aschenbechers auf, wie man sie lieber nicht kennenlernen möchte. Es regiert das Motto "schnell und schmerzvoll". Dass die Gewalt vor allem in zwei von Evans selbst inszenierten Folgen bisweilen wie ein Tanz anmutet, hat mit dessen bekannter Vorliebe für asiatische Kampfsport-Choreografien zu tun. Seit seinem in Indonesien gedrehten The Raid (2009) wird der Waliser gerne als Hoffnungsträger eines modernen Action-Kinos gehandelt.

Gangs of London hat sich indessen mehr vorgenommen, nämlich ein Panorama des organisierten Verbrechens in der britischen Hauptstadt. Mit glasigem Blick und leicht hochfahrendem Temperament tritt Sean Wallace (Joe Cole) an, das von seinem toten Vater (Colm Meaney) hinterlassene Vakuum auszufüllen. Entgegen der Losung "keine Iren, keine Schwarzen" hat der ermordete Patriarch sein verbrecherischeres Imperium einst mit Ed Dumani (Lucian Msamati) aufgebaut. Während der Kompagnon rät, die Geschäfte normal weiterzuführen, um den Mörder zu finden, will der Thronfolger das Gleiche erreichen, indem er die lukrativen Handelsströme unterbricht.

Die daraus resultierenden Irritationen und sich verschiebenden Loyalitäten werden in einem abendfüllenden Pilotfilm und weiteren acht rund einstündigen Folgen ausgebreitet. Dabei begegnet man unter anderem der albanischen Mafia und walisischen Gipsys mit einem knorrigen Mark Lewis Jones als Anführer. Das pakistanische Drogenkartell mischt bei Londons Bürgermeisterwahl mit. Eine kurdische Freiheitskämpferin, gespielt von der aus deutschen Produktionen bekannten iranischstämmigen Darstellerin Narges Rashidi, mischt beim Heroinhandel mit. Den multiethnischen Hintergrund für den bunten Gangster-Reigen gibt ein London ohne die üblichen Sehenswürdigkeiten aber mit viel Lokalkolorit ab.

Familien-Melodram

Nicht vieles davon kann allerdings mit der Fantasie mithalten, mit der in Gangs of London Knochen zersplittert werden. Die Gangster bleiben in vielerlei Hinsicht Abziehbilder, die familiären Beziehungen kippen wiederholt ins Melodramatische. In einer Rückblende wird Seans Initiation ins Töten vorgeführt, seine Mutter (Michelle Fairley) wohnt dem grausamen Schauspiel mit steinerner Miene bei. Während Seans Schwester (Valene Kane) versucht, sich als Ärztin den verbrecherischen Machenschaften des Clans fernzuhalten, laboriert der homosexuelle kleine Bruder (Brian Vernel) an Heroinproblemen und Minderwertigkeitsgefühlen. So weit, so klischeehaft. Unheilsschwangere Musik schwillt gerne dort an, wo das Drehbuch schwächelt.

Trailer zu "Gangs of London".
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Als interessanteste Figur erweist sich ein Newcomer in Seans Gang: Elliot Finch, mit sehr viel Charisma vom jungen Shakespeare-Schauspieler Sope Dirisu verkörpert, findet den Weg vom kleinen Fußsoldaten zum Vertrauten im inneren Zirkel. Wie sich bald zeigt, hat der Mann eine eigene Agenda, die ihn zwischen die Stühle zwingt und für Spannung sorgt.

Over the Top

So gut wie jede Folge steuert auf ein zentrales Set-Piece zu. In einer von Evans selbst inszenierten Episode, die in den walisischen Midlands spielt, wird der Nervenkitzel zunächst hocheffizient mit minimalen Mitteln gesteigert. Allerdings kulminiert auch hier alles in spritzendem Blut und Fleisch. Die Over-the-Top-Ästhetik, der hier gefrönt wird, mag Fans einschlägiger Videospiele erfreuen. Bei allen anderen stellt sich im besten Fall Ermüdung ein.

Anders als klassische Film noirs baut Gangs of London keine durchgängige Stimmung auf, sondern wechselt die Register. Der Spagat zwischen Kampf-Balletten wie in The Raid und dem längeren Atem von Serien wie Peaky Blinders, in der Hauptdarsteller Joe Cole ebenfalls an Bord war, mag nicht so recht gelingen. Das Ergebnis ist eine Serie, die im slicken Oberflächenkino eines Guy Ritchie ihren engsten Verwandten hat. Das ist angesichts der Attraktivität von Cast und Schauplätzen doppelt schade. Grünes Licht für eine zweite Staffel von Gangs of London gibt es übrigens bereits. (Karl Gedlicka, 23.7.2020)