Österreichs Straßenverkehr ist weit von den Klimazielen entfernt.

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Trendwenden sind in Österreichs Klimapolitik ein äußerst dehnbarer Begriff. VP-Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger feierte diese bereits im Vorjahr, nachdem die Emissionen an Treibhausgas hierzulande innerhalb eines Jahres merklich gesunken waren. Allein es waren ein milder Winter und ein von der Voest temporär stillgelegter Hochofen, die das statistische Bild schönfärbten. Ein Jahr später ist vom besagten Umbruch nichts mehr übrig. Österreich verfehlt seine Klimaziele zum dritten Mal in Folge. Mit rund 80,4 Millionen Tonnen an CO2-Äquivalent blies das Land 1,4 Millionen Tonnen mehr in die Luft als im Jahr zuvor, errechnete das Umweltbundesamt. Das ist ein Anstieg von 1,8 Prozent.

Das sei eine Hypothek und große Last auf den Schultern, sagt die grüne Klimaschutzministerin Leonore Gewessler. Sie sehe diese Zahlen daher als Warnung und als Handlungsauftrag. Der grüne Vizekanzler Werner Kogler bezeichnet die Klimabilanz 2019 als Höhepunkt der negativen Entwicklung: Ab sofort beginne das solare Zeitalter, von jetzt an gehe es nur noch vorwärts. Gewessler kündigt nun also für dieses Jahr die Trendwende an. Gelingen werde das mit den geplanten Klimaschutzmilliarden. Diese würden den Ausstoß an CO2 jährlich um 2,34 Millionen Tonnen senken. Der Umstieg von fossiler auf erneuerbare Energien etwa spare 530.000 Tonnen ein.

"Symbolische Maßnahmen"

Erklärtes Ziel Österreichs ist es, bis 2040 klimaneutral zu sein. Für Kritiker der Klimapolitik bleibt dies aber weiterhin in unerreichbarer Ferne. Dafür gehörten jährlich ganze vier Millionen Tonnen CO2 reduziert, rechnet der Klimaökonom Stefan Schleicher vom Grazer Wegener Center vor. "Darauf ist Österreich nicht vorbereitet."

Schleicher nimmt überwiegend nur symbolische Maßnahmen der Politik wahr. Für Klimaneutralität müsste etwa jedes Gebäude in Österreich innerhalb der nächsten 20 Jahre entsprechend umgerüstet werden. "Ganze Gebäudekomplexe gehörten mit neuen Energiesystemen ausgestattet. Das bedeutet einen enormen Aufwand."

Es wird aus seiner Sicht auch nicht mehr ausreichen, die Fahrzeugflotten der Österreicher querbeet auf E-Mobilität umzustellen und den Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel voranzutreiben. Nötig sei ein völlig neues Verständnis von Mobilität, für das jedoch die Voraussetzungen fehlten. Innovation vermisst er ebenso in energieintensiver Produktion: Chancen, hier anzusetzen, wurden vertan.

Corona reduziert Emissionen

2020 bringt jedenfalls eine Zäsur, wenn auch nicht durch bewusste Weichenstellung, sondern durch die Corona-Krise. Bedingt durch die finanzielle Misere sinken die Treibhausgase hierzulande heuer um acht bis zehn Millionen Tonnen, schätzt Schleicher. "Bezahlt wird das mit der verheerenden wirtschaftlichen Lage."

Eine Krise ersetze keine Klimapolitik, sagt Gewessler. Sie ist davon überzeugt, die richtigen Instrumente dafür auf dem Tisch zu haben. Das Verständnis der Bevölkerung sei da – denn "Corona hat uns deutlich vorgeführt, wie sich Krisen anfühlen".

"Korrekturbedarf" machen die Grünen vor allem im Verkehrsbereich aus. Gewessler hebt einmal mehr das 1-2-3-Ticket ab 2021, den Ausbau der Infrastruktur und Förderungen für E-Mobilität hervor. Wichtiger Hebel sei zudem die geplante CO2-Bepreisung ab 2022.

"Halbherzig"

SP-Umweltsprecherin Julia Herr ortet hingegen ein konsequent ignoriertes Klimaschutzgesetz: Vorgeschriebene Sofortmaßnahmen seien verschoben oder halbherzig zusammengeschustert worden. Die Umweltorganisation Greenpeace fordert eine fair ausgestaltete Klimapolitik, zu der jeder einen Beitrag leisten können müsse. Dazu brauche es Umverteilung im Zuge der Steuerreform, etwa durch einen Klimabonus. Adäquate Strafen bei Überschreitungen der CO2-Ziele für die Industrie verlangt Global 2000. Auf eine gewaltige Energiespar-Offensive pocht der WWF Österreich.

Mit einem Zuwachs von 1,2 Prozent bei den Emissionen verfehlte 2019 der Straßenverkehr die Klimaziele deutlich. Weniger CO2 pustete die Landwirtschaft in die Luft, sie reduzierte Milchkühe und Mineralöldünger. Für Schleicher sind die Daten wenig aussagekräftig: Sie berücksichtigten weder Effekte durch Konjunktur noch durch Witterung. (Verena Kainrath, 23.7.2020)