Die Simmeringer Hauptstraße ist eine Gegend im Wandel, schlicht ein Ort, wo Angebot und Nachfrage sich treffen.

Foto: Heribert Corn

Schön ist sie wahrlich nicht, die Simmeringer Hauptstraße. Je ein Fahrstreifen zieht sich da in beide Richtungen, rechts und links eine vollgefüllte Parkspur. Parallel fährt die Bim stadtein- und -auswärts, für Passanten bleibt nicht viel Platz. Die sind hier, weil sie müssen; sie steigen um, hetzen den Weg entlang, hüpfen kurz zum Bäcker, zum Dönermann oder in den Penny-Markt. Die Simmeringer Hauptstraße gilt als Sorgenkind. Der blaue Bezirksvorsteher Paul Stadler spricht gar abfällig von einem "Little Istanbul", Wirtschaftstreibende warnen regelmäßig in Medienberichten vor einem Geschäftssterben.

Die Simmeringer Hauptstraße gilt als Sorgenkind, Wirtschaftstreibende fürchten ein Geschäftssterben.
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Das, was man hier Einkaufsstraße nennt, beginnt auf Höhe der Hauffgasse. Da ist auf der einen Seite der Knopfkönig, auf der anderen sind Bäckereien und Friseure. Kleine Läden, oft von Selbstständigen aus migrantischen Communitys geführt, erobern mit Kampfpreisen den Markt und nehmen – so sagen manche – überhand.

So etwa auch ein älterer Mann mit Gesichtsvisier und Bauchtasche, der auf dem Enkplatz auf einem Bankerl sitzt, Blick auf die Kirche. Er habe ja nichts gegen Ausländer, sagt er. Aber dass sein Friseur zusperren musste und hier alle paar Häuser Billigbarbiere eröffnen, das versteht er nicht.

Dutzende Bäume spenden hier auf dem Enkplatz Schatten im heißen Stadtsommer, eine Sprenkelanlage kühlt den Asphalt. Wäre hier kein Lärm, wäre es ein beschaulicher Platz. An der östlichen Seite ist ein Baugerüst über die gesamte Häuserreihe errichtet, der Großbrand, der vor gut einem Jahr hier wütete, riss ein Loch in das Herz des Bezirks. Baulärm fügt sich ein in das Heulen der Motoren, das Bimmeln der Bim und das Folgetonhorn eines Einsatzfahrzeuges.

Passanten werden weniger

Viele erfolgreiche Einkaufsstraßen hätten Begegnungs- oder Fußgängerzonen eingeführt, sagt Alexander Biach, Standortanwalt der Wirtschaftskammer Wien (WKW). Eine Einkaufsstraße brauche Erlebnisqualität. Dazu gehöre neben Öffi-Anbindung oder zumindest einigen Garagen auch die richtige Oberflächengestaltung: "zum Beispiel Sitzmöglichkeiten, Ausstellungen, ein Brunnen".

Die Gegend um den Enkplatz hat vieles, was eine gute Einkaufsstraße braucht. Etwa Grünflächen ...
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Vielleicht könnte man die Stelle des Enkplatzes, wo nun saniert wird, irgendwann verkehrsberuhigen, sagt Bezirksvorsteher Stadler (FPÖ), das dauere aber noch Jahre. Und die Simmeringer Hauptstraße selbst lässt sich als Hauptverbindung zwischen Schwechat und Stadt nicht so einfach entschleunigen. Viel problematischer, sagt Stadler, sei, dass viele Gebäude in Privatbesitz seien. Da gebe es etwa ein Haus, in dem Brüder seit Jahren um ihre Anteile streiten, ein anderes stehe leer, weil der Besitzer es so wolle. Dem Bezirk seien die Hände gebunden, sagt Stadler. "Da können wir nichts reinmachen."

... oder eine gute Öffi-Anbindung.
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Während die Bevölkerung im Elften wächst, halten sich auf der Straße immer weniger Leute auf. Laut einer Zählung der WKW waren 2018 nur noch etwa 6000 Passanten an einem Wochentag in der Gegend, zehn Jahre zuvor noch 1500 mehr. Seit 20 Jahren fährt die U3 hierher, von hier aus ist man schneller auf dem Stephansplatz als von mancher hippen Ecke im Siebenten. Das wird auch kritisch gesehen: "Sobald sich eine U-Bahn ansiedelt, zieht das die Leute unter die Erde", sagt Markus Hanzl vom Sozialdemokratischen Wirtschaftsverband Wien. "Die Leute kommen nicht mehr an den Läden vorbei und denken sich: Das wäre ein schöner Pulli. Oder: Den Staubsauger brauche ich."

Zahl der Läden veränderte sich kaum

Wenn jemand gezielt in den Elften zum Einkaufen kommen würde, sagt Hanzl, dann ins Einkaufszentrum. Das EKZent liegt, vorbei an der Straßenbahnhaltestelle, wo die Bims alle paar Minuten dutzende Leute auf den Gehsteig ausladen, weiter stadtauswärts. Viele Läden, die früher an der Straße angesiedelt waren, seien dorthin gezogen, sagt Hanzl: "Da wird gemeinsam geworben, es ist wettergeschützt, es gibt einen Parkplatz." Halten würden sich darin aber vor allem die Ketten, ein H&M ist da, auch ein großer Spar.

Ein Blick auf die verfügbaren Zahlen zeigt, dass das Geschäftssterben, das viele fürchten, so gar nicht droht. Die Anzahl der Läden hat sich laut Daten der WKW zwischen 2006 und 2014 kaum verändert. Kleine Änderungen gibt es im Branchenmix: Verkaufsflächen für Möbel und Kleider steigen, während jene für Hausrat sinken. Eine Entwicklung, wie sie in vielen Bezirken passiert.

Am Markt am Simmeringer Platz beschwert man sich nicht über Umsätze – seit elf Jahren steht der Händler hier.
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Am Simmeringer Platz, der Endhaltestelle der U3, endet der "Einkaufsteil" der Simmeringer Hauptstraße, dahinter verliert sie sich in Wohn- und Industriegebiet. Vor der Station verkauft ein Mann mit Schnauzer und Schirmkappe Gemüse. Sein Geschäft laufe gut, sagt er, Zigarette im Mund. Sein Vorgesetzter, Sahin Ufuk, sagt, der Stand sei seit elf Jahren hier, der Umsatz passe.

Was auf diesen paar Hundert Metern der Simmeringer Hauptstraße passiert, ist schlicht ein demografischer und wirtschaftlicher Wandel, Angebot trifft auf Nachfrage. Und so sehr sich Alteingesessene über migrantische Läden und Dienstleistungsanbieter ärgern, so klar ist auch die Antwort, wenn man sie nach der Alternative fragt. Die einhellige Reaktion: Dann stünden die Geschäftslokale wohl leer. (Gabriele Scherndl, 24.7.2020)