"The Riverwave" in Ebensee.

Max Eisl / Büro 36

Nur nicht vorne einspitzeln mit dem Brett. Aber auch zu viel Rückenlage ist keine gute Idee. Zwei gut gemeinte Ratschläge von Surfern, die diesen Namen auch verdienen. Wie aber, denkt sich der blutige Anfänger im dicken Neoprenanzug, auf diesem wabbeligen Etwas das Gleichgewicht halten – während tausende Liter Wasser pro Sekunde unter ihm durchdonnern? So viel sei gesagt: Die hart erlernten Surf-Fertigkeiten vom Meer helfen ihm nichts.

DER STANDARD

Während wartende Sportler in der Schlange vor dem Einstieg in die stehende Welle viel zu viel Zeit zum Nachdenken bekommen, folgt der Auftritt von Lennard Weinhold. Elegant hüpft der 19-jährige Münchner von der Seite mit seinem Brett ins blitzblaue Wasser, reitet die Flusswelle nach rechts ab, baut Geschwindigkeit auf und bremst so abrupt ab, dass die wartenden Surfer eine ordentliche Ladung Nass abbekommen. Auf dem Weg zurück wird eine Drehung mit dem Brett eingebaut.

Er unterstreicht recht eindrucksvoll, warum er zu den besten Flusssurfern der Welt gehört. Gefühlt minutenlang zeigt Weinhold seine Tricks auf der zehn Meter langen und knapp einen Meter hohen Welle, ehe er sich kontrolliert über die Wellenspitze abtreiben lässt, den Wasserstrudel dahinter durchtaucht und sich mit seinem Brett wieder anstellt.

So sieht es aus, wenn Flusssurferinnen am Werk sind. Katja steht mehrmals die Woche auf dem Brett.
Andreas Danzer

Exakt sieben Sekunden lang

Der blutige Anfänger ist angesichts dieser Surfmöglichkeiten enthusiasmiert. Leichte Erwartungen machen sich breit. Und los. Rauf aufs Brett, Hände weg von der Betonmauer, mit der Welle kämpfen, surfen. Exakt sieben Sekunden lang. Dann: Einspitzeln, Rückenlage, Wasserstrudel. Hinten anstellen. Max Neuböck hat dennoch tröstende Worte parat: "Wahrscheinlich bist du auf dieser grünen Welle heute schon länger gesurft als an deinen ersten Surftagen am Meer." Dem kann leider nichts entgegnet werden.

Der 27-jährige Neuböck hat am Rande seiner Heimatstadt Ebensee, am Fuße des Feuerkogels, etwas realisiert, von dem aktuell die europäische Surfszene spricht. Bevor die Traun von Bad Ischl kommend in den Traunsee fließt, wurde im idyllischen Nirgendwo, nahe der Miesenbachmühle und direkt neben einer Hochspannungsleitung, eine künstliche Flusswelle errichtet.

Ebensee, die Welle – und viel Natur.
Max Eisl / Büro 36

Diese stehende Welle lässt sich mitten im Binnenland Österreich theoretisch ewig surfen. Neuböck geht davon aus, dass seine Welle, die unter "The Riverwave" firmiert, mindestens 250 Tage im Jahr konstant funktioniert. Sie ist laut dem Betreiber die weltweit größte künstliche Flusswelle ihrer Art. Mitte Mai dieses Jahres wurde sie eröffnet.

Die Welle läuft

Dass die Welle in Ebensee läuft, sprach sich auch ohne viel Werbung schnell und weit herum: Trotz Corona waren neben Locals und Neugierigen aus ganz Österreich auch schon Surfer aus Italien da, aus Deutschland, Tschechien, der Slowakei, Slowenien oder Schweden. "Letztens sind Belgier zwölf Stunden zu uns heruntergefahren. Fünf Personen waren im kleinen Golf, fünf Bretter waren auf dem Dach", erzählt Neuböck.

Max Neuböck (27) ist der Betreiber von "The Riverwave".
David Krutzler

Der Bayer Lennard Weinhold fährt zum Wellenreiten nach Ebensee, obwohl er mit dem Eisbach die berühmteste stehende Welle vor der Haustür in München hat. Ihn kennt man in der Szene: Der 19-Jährige hat bereits Wettkämpfe in künstlichen, durch Pumpen erzeugten stehenden Wellen in Tel Aviv, Tokio und der Shopping City Süd (SCS) nahe Wien gewonnen – der City Wave World Tour.

Lennard Weinhold 2019 auf der künstlichen City Wave in Zürich.

Surfen und Österreich, das geht zusammen

Surfen und Österreich, das geht schon seit Jahren gut zusammen. Einerseits lässt die Faszination von Meereswellen auch immer mehr Binnenlandler in diese Sportart hineinkippen. Andererseits gibt es auch hierzulande einige Surf-Möglichkeiten: Auf der kleinen Almkanalwelle im Salzburger Stadtteil Gneis kann seit einem Umbau 2010 fast das ganze Jahr über gesurft werden. Und im aufgestellten Pool der City Wave werden in Österreich seit 2016 Wellen in der Sommersaison geritten: zunächst für einen Sommer in der Wiener Innenstadt, danach in der SCS.

Surfen auf der künstlichen City Wave in der Shopping City Süd: Die Wellen im Pool werden durch Pumpen erzeugt.

Einige natürliche Surf-Spots

Dazu kommen zahlreiche natürliche Surf-Spots in Flüssen. Wenn viel Wasser in kurzer Zeit über einen großen Höhenunterschied fließt und der Untergrund passt, kann in den Fluten eine stehende, surfbare Welle entstehen. Das ist aber meist nur kurzfristig bei viel Schmelzwasser im Frühjahr oder Regen der Fall. Selbst mitten in Graz wurde schon regelmäßig in der Mur gesurft, im Inn bei Silz in Tirol, in der Ybbs bei Amstetten oder in der Traun bei Bad Ischl.

Weil diese Hochwasserwellen durch Strömung, Treibgut und Steinen im Wasser oft unberechenbar sein können, sind diese Könnern vorbehalten. Und viele Spots sind zu Recht gut gehütete Geheimnisse der lokalen Szene. Zudem können Flusswellen mit sich veränderndem Flussgrund schnell wieder verschwinden.

Wellen finden sich auch nach Hochwasser und Regen in Flüssen. Diese sind aber Könnern wie vom Rivermates Surfclub Salzkammergut vorbehalten. Für motivierte Einsteiger gibt es auch Kurse.
Max Eisl Büro 36

Behördenverfahren dauerte sechs Jahre lang

Max Neuböck, Surf-Aficionado und mit 16 Jahren einst der jüngste Surflehrer Österreichs, suchte etwas Beständigeres. Für sein Projekt in der Traun brauchte der Obmann des Surfclubs "Rivermates Salzkammergut" aber gehörige Ausdauer. "Die Behördenverfahren für den aktuellen Standort liefen sechs Jahre lang", meinte er. "Es gab ja nichts Vergleichbares."

Neuböck hat sich den natürlichen Höhenunterschied an dieser Stelle des Flusses künstlich zu eigen gemacht. In acht Monaten Bauzeit wurde ein 120 Meter langer und zehn Meter breiter Ausleitungskanal aus Beton in der Traun errichtet. Dazu kommen zwei hydraulisch bewegbare Stahlklappen im Kanal. Die Technik des Herzstücks, den Wave Shaper, hat die Firma eines amerikanischen Surferfreunds beigesteuert.

Max Eisl / Büro 36

Zwischen 12.000 und 35.000 Liter Wasser pro Sekunde

Die obere Stahlklappe in der Traun regelt die Durchflussmenge. "Wir können da zwischen 12.000 und 35.000 Liter Wasser pro Sekunde durchschicken", sagt Neuböck. Der fast schon lustige Nebenaspekt: Just bei natürlichem Hochwasser läuft die Anlage nicht. Mit der unteren Klappe werden Größe und Steilheit der Welle geregelt: Diese kann zwischen 30 Zentimeter und 1,5 Meter hoch sein – um Anfänger wie Könner zufriedenzustellen. Das ist eine Herausforderung.

Stammgäste bekommen die Riverwave jeden Montag und Donnerstag für sich – als Zuckerl für den Erwerb einer Jahreskarte. Knapp 200 Surfer haben sich das Ticket um 444 Euro bereits geholt. Ansonsten hofft man bei den Tagesbesuchern auf friedliche Koexistenz – und wenige andere beim Anstellen, egal ob sie gut sind oder nicht. Die Tageskarte kostet zwischen 23 und 27 Euro, das Verleih-Kombiset aus Brett, Neoprenanzug und Schuhen kommt auf 35 Euro.

Wobei sich in Ebensee ohne Fluss-Surfkurs (ein Tag um nicht gerade wohlfeile 129 Euro alles inklusive) auch jene schwertun, die mit Meereswellen schon auf Du und Du sind. Die Surf-Buddies Michael Hager und Florian Tatra aus Salzburg haben einst Bundesliga-Volleyball gespielt und waren schon in Portugal, Peru oder Sri Lanka surfen.

"Das mit dem Einspitzeln mit dem Brett ist auf der Flusswelle so eine Sache", meint Florian Tatra nach ein paar kurzen Versuchen. Aber dann macht es klick: Der 30-Jährige surft das "Face" die gesamte Breite ab und irgendwie auch wieder zurück. Und dann gleich nochmal. "Einmalig", meint er danach. "Jetzt könnte ich meine Fluss-Surf-Karriere am Höhepunkt beenden." Doch er stellt sich mit einem sehr breiten Grinser wieder an.

Florian Tatra, Ex-Volleyball-Bundesligaspieler und regelmäßiger Meereswellensurfer, bei seinem Flusswellendebüt in Ebensee.
Foto: Andreas Danzer

Ein Zwei-Millionen-Euro-Projekt

Gekostet hat "The Riverwave" zwei Millionen Euro netto. Neuböck hat also auch wirtschaftliches Interesse daran, dass seine Welle läuft. Der Start war mit durchschnittlich 60 Surfern pro Tag so vielversprechend, dass der Parkplatz im Wald mit 32 Stellplätzen an manchen Tagen schon nicht mehr ausreichte. Und dabei waren Zuschauer auf der Steintribüne des Sportareals wegen der Corona-Beschränkungen noch nicht erlaubt. Ein zweiter Parkplatz in der Nähe sowie weitere Kurzparkplätze haben Abhilfe geschaffen: Das kurzfristige Parkplatz-Chaos gefiel zuvor manch Ebenseern ganz und gar nicht.

Die Welle im Salzkammergut dürfte der Entwicklung des Surfsports in und um Österreich jedenfalls einen großen Schub bescheren. Der Salzburger Boardbauer Gerwin Andreas von Delight Alliance Surfboards hat sich auf Flusswellen spezialisiert und baut 150 bis 200 Surfbretter pro Jahr – Tendenz steigend. "Der Trend zum Riversurfen ist da. Die Leute kommen drauf, dass sie zum Wellenreiten nicht nach Bali fahren müssen", meint er. Die künstliche, vergleichsweise sichere Welle in Ebensee beschreibt Andreas, der auch Skilehrer und Bergretter ist, so: "Das ist wie Powdern im pistennahen Bereich."

Die Welle von oben. Vor Ort gibt es auch eine Liegewiese, einen Gastrobereich und einen Surf-Shop.
David Krutzler

Künstliche Wellen am Vormarsch

Mit der Almkanalwelle in Salzburg und der City Wave bei Wien haben motivierte Anfänger und Fortgeschrittene nun bereits drei Möglichkeiten, fleißig im Wellen-Face zu üben. Die Almkanalwelle ist nur rund 4,5 Meter breit sowie einen halben Meter hoch, punktet aber mit kostenlosem Zugang.

Die Almkanalwelle in Salzburg.

In der City Wave teilen sich bis zu zwölf Surfer eine 50-minütige Einheit, 39 Euro sind fällig. Eine Reise wert ist aber auch die stehende Welle bei Cunovo nahe Bratislava.

Dazu kommen weitere Wellenbauprojekte. Fortgeschritten sind die Pläne in Graz – wo sich aber das im Vorjahr von der Stadtpolitik präsentierte Vorhaben eines Wassersportparks für Surfer und Kajaker im Stadtzentrum um 1,7 Millionen Euro verzögert. Hinter vorgehaltener Hand heißt es, dass das bisherige Konzept für die Surfwelle nicht umsetzbar ist.

In Graz wurde bereits immer wieder mitten im Stadtgebiet auf der Mur gesurft. Seit längerem gibt es ein Projekt einer künstlichen Flusswelle, die beständiger sein soll.
Elmar Gubisch

Wellenpläne auch in Wien

In Wien kämpft Surfer Josef Bauer mit seinem Projektteam "Wiener Welle" seit Jahren darum, gleich drei in Serie geschaltete Wellen zwischen 0,5 und 1,3 Metern Höhe im Donaukanal am Brigittenauer Sporn zu realisieren. Die Surfwellen in dem zu bauenden zehn Meter breiten Betongerinne wären als Anbau des neuen Wasserbaulabors der Boku geplant. Letzteres wird bereits errichtet. Noch gibt es für das Vorhaben aber keine Einigung mit der Uni. Bauer, selbst Absolvent der Boku, ist sich sicher: "Früher oder später kommt das Ding." Bis dahin können Surfer ja woanders in Österreich versuchen, mit ihrem Brett nicht einzuspitzeln. (David Krutzler, Andreas Danzer, 23.7.2020)