Wie steht es um die Medienvielfalt in Europa – konkret der 27 EU-Staaten, Großbritanniens, Albaniens und der Türkei? Der Donnerstag veröffentlichte Media Pluralism Monitor 2020 bewertet Österreich vor allem in Sachen Politeinfluss und Medienkonzentration kritisch – hier stufen die Autoren als gefährdet ein. Sie fordern gesetzliche Regelungen für freien Zugang zu Informationen und für Transparenz insbesondere in der digitalen Welt.

Das European University Institute hat die Vergleichsstudie veröffentlicht, die Lage in Österreich haben die Kommunikationswissenschafter Josef Seethaler und Maren Beaufort von der Akademie der Wissenschaften analysiert und bewertet. Die Gesamtstudie ist unter diesem Link ebenso online abrufbar wie die Länderberichte. Unter diesem Link werden Studienergebnisse nach Kategorien visualisiert.

Für das Kriterium "politischer Einfluss" auf Europas Medien sieht die Länderwertung etwa so aus (Screenshot):

Risiken politischer Einflussnahme auf Medien, bewertet für "Monitoring Media Pluralism in the Digital Era 2020".
Foto: MPM2020 Screenshot

Zugang zu Informationen

Geringes Gefahr sehen Seethaler und Beaufort für den grundlegenden Schutz von Medien und Journalismus. Die Unabhängigkeit der Medienbehörde würdigen sie, allgemeinen Zugang zu Medien und Internet, auch die Branchenstandards und den Schutz von Journalistinnen und Journalisten. Aber auch in dieser Kategorie sehen sie eine erhöhte Gefährdung – für den Schutz der Meinungsfreiheit und mehr noch den Zugang zu Informationen vergeben sie in der Studienterminologie ein "mittleres Risiko" – Stufe zwei von drei möglichen.

Die Sorge um die Meinungsfreiheit gründete sich einerseits noch auf den Umgang der ÖVP/FPÖ-Koalition mit kritischen Medien, Journalistinnen und Journalisten; andererseits auf mögliche Gefängnisstrafen für üble Nachrede und Beleidigung, insbesondere auch gegenüber öffentlichen Institutionen wie Nationalrat oder Bundesheer.

Ein Informationsfreiheitsgesetz vermissen auch die Autoren dieser Studie, ein Entwurf ist für diesen Sommer angekündigt.

Hohes Risiko: Medienkonzentration

Mittleres Gefährdungsniveau sehen die Autoren des Österreich-Berichts in der Vielfalt des Medienmarkts insgesamt, sie sei "bedroht", schreiben sie wörtlich. Die Medienkonzentration, ein Teilkriterium dieser Kategorie, bewerten sie als hohe Gefahr und verweisen auf den "Krone"-"Kurier"-Zusammenschluss Mediaprint (seit 1988) und auf die Übernahme von ATV durch ProsiebenSat1Puls4 2017. Auch die Konzentration bei Onlineplattformen sehen sie als hohes Risiko.

Als mittel gefährdet stufen Seethaler und Beaufort die Transparenz der Besitzverhältnisse im Medienmarkt ein, die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit der Medienunternehmen und den Einfluss von Eigentümer- und kommerziellen Interessen auf redaktionelle Inhalte. Hier verweisen sie auf zuvor branchenfremde Medien-Engagements von Red-Bull-Boss Dietrich Mateschitz (Red Bull Media House) und von Immobilienmilliardär René Benko bei "Krone" und "Kurier".

Risiko Politeinfluss

Auch die Kategorie Politik-Einfluss stufen Seethaler und Beaufort als mittleres Risiko ein, in zwei Unterkategorien die Gefährdung aber als hoch:

  • Einerseits die Unabhängigkeit in der Kontrolle und der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (vor allem die FPÖ drängte in der Regierung mit der ÖVP auf Abschaffung der GIS und Finanzierung des ORF aus dem Staatsbudget).
  • Andererseits sorgen sich die Autoren um die redaktionelle Unabhängigkeit insgesamt. Sie vermissen etwa Schutzmechanismen vor politischem Einfluss auf die Bestellung und Abberufung von Chefredakteuren. Beim ORF gebe es immerhin Abstimmungen und ein Anhörungsrecht, vermerken sie. Redaktionsstatute einer Reihe österreichischer Zeitungen sehen allerdings bindende Abstimmungen über Führungskräfte vor.

Seethaler und Beaufort empfehlen, alle Medien zur Selbstregulierung zu verpflichten mit Regeln für interne Vielfalt, redaktionelle Unabhängigkeit von politischen und wirtschaftlichen Einflüssen, Abstimmungen über Führungskräfte, Qualitätssicherungssysteme und Moderation von Onlineforen.

Zugang zu Medien und Öffentlichkeit

Eine erhöhte (mittlere) Gefahrenlage orten die Autoren in Österreich auch beim Zugang zu Medien und Öffentlichkeit, insbesondere für gesellschaftliche Minderheiten. Ihren Zugang stufen sie am schlechtesten (hohe Gefahr). Der ORF müsse ihnen "angemessene" Sendezeiten zur Verfügung stellen, das Gesetz definieren diese aber nicht. Geringe Gefahren sehen sie für den Zugang von lokalen und regionalen Communities zu Medien, sie vermissen hier aber eine rechtliche und finanzielle Absicherung von nicht-kommerziellen Medien.

Im Mittelfeld bewerten sie den Zugang von Frauen zu Medien und ebenso von Menschen mit Behinderung. Ebenso die Medienkompetenz in der Bevölkerung.

Seethaler und Beaufort empfehlen Förderungen für Diversität in Redaktionen und Medienmanagement, für lokale Information und für die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an der Medienproduktion – insbesondere durch nicht-kommerzielle Medien.

Pflichtfach Medienkompetenz

Die Vermittlung von Medienkompetenz reklamieren sie als verpflichtenden Unterrichtsgegenstand in die Lehrpläne der Schulen.

Seethaler und Beaufort bemängeln zudem den teils schwierigen Zugang zu Daten über die Medien und Medienunternehmen, die für Studien wie diese nötig seien. (fid, 23.7.2020)