Für Außenstehende mag es seltsam wirken, dass ausgerechnet ein exilbosnisches Lokal die Jugoslawien-Nostalgie so nachdrücklich zelebriert wie das neue Sofra auf der Märzstraße. Der besonders tragischen Geschichte ihrer unmittelbaren Heimat zum Trotz haben der Ex-Wiener-Neustadt-Kicker Arvedin Terzić und sein Kompagnon Edin Sahović ihr hübsch gestaltetes neues Lokal nämlich fast ausschließlich mit Tito-Fotos (etwa in trauter Zweisamkeit mit Fidel Castro, dem anderen Blockfreien), Reprints antiker Tourismusposter aus der Zeit des vereinten Westbalkans, natürlich einem Logo der Winterspiele 1984 in Sarajevo und anderen Jugo-Paraphernalien der guten alten Zeit bestritten, als man den Nachbarn noch nicht als Todfeind entdeckt hatte. Terzić ist selbst Flüchtling des Bosnien-Kriegs, er kam als Kind nach Österreich.

Jugo-Nostalgie bei routiniertem Grillmanagement ...
Foto: Gerhard Wasserbauer

Bei näherem Hinsehen wirkt die Nostalgie nicht unlogisch: So in Ordnung, wie die Welt zur Zeit der südslawischen Union war, stellte sie sich gerade für Bosnien weder vorher noch nachher wieder dar. In der Rückschau wird das auf speziell markante Weise offenbar.

Wonach man aber im Sofra (und in einigen anderen bosniakischen Grillhütten der Stadt) umsonst fragen wird, ist Bier oder gar Schnaps. Stattdessen ordern die Gäste Joghurt oder die Hagebutten-Limo Cockta. Zu Jugo-Zeiten war das in Bosnien natürlich anders gewesen. Existenzielle Zäsuren, wie das Land sie erleben musste, fördern eben auch die Betonung von Eigenheiten. Schon klar, arabisches Geld und entsprechender Fundamentalistendruck sind in Bosnien vermehrt spürbar – aber auf der Märzstraße?

Genug gesudert, mit ein bissl Glück werden wir aufgrund dieser Krise eh alle als glühende Europäer wiederauferstehen. Am entsprechenden Geist labt man sich am besten sonntags im Sofra, da kommen nämlich Mantije aus dem Backrohr geschossen, ganz großartige Teigtascherln, wie Minibuchteln auf Bleche geschlichtet, mit saftigem Kalb in luftigem Strudelteig und knusprig gebacken – regional verwurzelte Hausfrauenküche, wie man sie bei anderen Wiener Balkanesen nur sehr selten findet.

... dazu Topteigtaschen und Bureks im Sofra auf der Märzstraße.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Endlich wieder Suppenhuhn

Die Tagessuppe ist auch so ein Fall. An unserem Abend war das ein ebenso milder wie gehaltvoller Topf verschiedenster Gemüse, von Okra bis Mangold, mit köstlichen Happen vom echten Suppenhuhn, ein Zaubertrank von einer Suppe, wie aus versunkener Zeit. Scharfe Pljeskavica ist ebenso Pflicht, der pikante Fleischteppich forsch gegrillt und doch zart, das knusprige Somun-Brot wunderbar fluffig, die weißen Zwiebeln so mild, wie sie gehören.

Das alles gibt es auch zu den Ćevapi, wirklich gute Ware, elastisch, zart, zu exzessivem Fleischkonsum animierend, echter Sarajevo-Stil. Die gibt es natürlich auch "u kajmaku", in warmer Sauce aus Kajmak-Doppelrahmkäse. Zum Grillteller (im Bild mit einer Portion Mantije) kommt der Käse kühl samt Ajvar, und zusätzlich gibt es Kalbsbratwürstel, Hendlbrust und sehr seriöse Pommes.

Der salzige Balkanstrudel Pita, ob als Burek mit Fleisch, Zeljanica mit Spinat oder Krompirisa mit Erdäpfeln, wird natürlich auch im Haus gemacht, da sollte man aber schon des längeren hungrig gewesen sein. Dafür sind die Desserts, speziell die hausgemachte Baklava mit Nüssen und die saftige Kokos-Hurmašice, eine Bank, schon gar in der Kombination mit dem sehr ordentlich bitteren türkischen Kaffee.
(Severin Corti, 24.7.2020)

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