Italiens Carabinieri gelten als bürgernah und vertrauenswürdig – nun aber werden sie von einem Skandal erschüttert.

Foto: EPA/GUARDIA DI FINANZA HANDOUT

Die Festgenommenen posierten mit Bargeld und Cannabisblüten.

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Die Herrschaften fühlten sich offenbar sicher und unangreifbar: "Wir haben eine kriminelle Organisation aufgebaut, eine richtige Pyramide. Und sie werden uns nie entdecken", sagte einer der inzwischen verhafteten Carabinieri zu einem Komplizen. Doch zu diesem Zeitpunkt wurde sein Telefon bereits abgehört – und am Dienstag schnappten bei ihm und sechs weiteren Beamten die Handschellen zu. Die gesamte Carabinieri-Kaserne wurde von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt und versiegelt. Das hat es in der über zweihundertjährigen Geschichte der "Karabiner-Truppe" noch nie gegeben.

Die Vorgänge in der "Levante"-Kaserne der Carabinieri im Stadtzentrum von Piacenza waren haarsträubend: Beamte hatten laut den Erkenntnissen der Ermittler während mindestens drei Jahren gemeinsame Sache mit Drogendealern gemacht – und dabei kräftig mitverdient. Den Stoff – hauptsächlich Marihuana und Kokain – besorgten einerseits ihre zivilen "Geschäftspartner", deren Aktivitäten sie deckten und während des Lockdowns auch aktiv förderten – und andererseits beschlagnahmten die Carabinieri ihrerseits große Mengen an Rauschgift bei der "Konkurrenz", also bei anderen Drogenhändlern, die nicht zu ihrem Ring gehörten.

Waterboarding und Schlägertruppen

Um die Verhafteten dazu zu bringen, ihre Drogenverstecke preiszugeben, wendeten die kriminellen Carabinieri offenbar auch Foltermethoden an, unter anderem auch eine Art von "Waterboarding". Und die mit den Beamten verbündeten Dealer wurden bei Bedarf auch als Schläger eingesetzt – etwa wenn der Hauptangeklagte der Carabinieri ein neues Auto kaufen wollte: Die Händler wurde so lange zusammengeschlagen, bis er einen "Rabatt" von 10.000 Euro gewährte. "Erinnerst du dich an die Szenen im Mafia-Film 'Gomorra'? Unsere Aktion ist ähnlich gewesen", prahlte danach einer der Schläger gegenüber seinem Bruder.

Die "Schande von Piacenza" hat am Mittwoch die Schlagzeilen aller italienischen Medien beherrscht – zumal die Machenschaften jahrelang unentdeckt geblieben waren und deshalb der Verdacht im Raum steht, dass Vorgesetzte und Kontrollbehörden beharrlich weggeschaut hätten. Der Hauptangeklagte wohnt – bei einem jährlichen Brutto-Einkommen von knapp über 31.500 Euro – in einer Villa mit Pool und hatte sich seit 2008 mehrere Autos gekauft – darunter einen Porsche Cayenne, drei Mercedes, vier BMWs und einen Audi. Wie ist es möglich, fragen sich nun die Italiener, dass bei einem solchen Lebensstil niemand Verdacht geschöpft haben will?

Unwürdig für die Uniform

Bei den kriminellen Umtrieben in der Levante-Kaserne handelt es sich zwar keineswegs um den ersten Skandal, der das Korps der Carabinieri erschüttert – doch es ist mit Sicherheit einer der schlimmsten der letzten Jahrzehnte. Der oberste Chef der Carabinieri, General Giovanni Nistri, reagierte entsetzt auf das Fehlverhalten seiner Untergebenen: "Wir stehen vor äußerst schwerwiegenden Vorfällen, die unwürdig sind für jemanden, der unsere Uniform trägt." Der Schaden für das Ansehen der Truppe sei "unermesslich".

Das dürfte zutreffen: Die Carabinieri gelten unter den diversen italienischen Ordnungskräften als die "Guten". Die rund 105.000 Mitglieder starke Truppe ist dem Verteidigungsministerium unterstellt und leistet auch Friedenseinsätze im Ausland; die Carabinieri sind damit streng genommen keine Polizisten, sondern Soldaten.

Mit ihren tausenden lokalen Wachen und Kasernen im ganzen Land sind sie ausgesprochen bürgernah, und bei Kontrollen drücken die Carabinieri bei kleinen Ordnungswidrigkeiten auch einmal ein Auge zu. Wer ein Problem hat oder eine Anzeige erstatten will, wendet sich deshalb in der Regel an die Carabinieri und nicht an die deutlich schärfere und unflexiblere Polizia di Stato (dem Innenministerium unterstellt) oder an die ebenfalls nicht sonderlich beliebte Guardia di Finanza (Finanzpolizei). (Dominik Straub aus Rom, 24.7.2020)