ÖVP-Fraktionsführer Wolfgang Gerstl weist Leaks von sich

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Am 8. Juli 2020 ging ein ominöses Kuvert bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ein, adressiert an die fallführenden Staatsanwälte in den Causen Casinos und Parteispenden. Es handelte sich um die Nachricht eines "Informanten", der die WKStA davor warnte, dass die ÖVP einen WKStA-kritischen Bericht der Soko Tape an Journalisten verteilt habe. Als "Beweis" wurde der Bericht per USB-Stick mitgeschickt.

Nach forensischer Prüfung sind sich SPÖ, FPÖ und Neos sicher: Es bestehe "der massive Verdacht", dass das Dokument "vonseiten der ÖVP illegal und unter Bruch der Verfahrensordnung des U-Ausschusses an die Medien gespielt wurde". Auch die WKStA geht davon aus, dass das übermittelte File authentisch ist. Die Oppositionsparteien fordern nun Konsequenzen.

Worum geht es überhaupt?

Bei dem Dokument, das angeblich "geleakt" wurde, handelt es sich um einen "Sachstandsbericht" der Soko Tape vom 17. Dezember 2019.

In diesem Bericht beschreibt Soko-Tape-Leiter Andreas Holzer verschiedene Problemfelder in der Zusammenarbeit mit der WKStA. Die Kooperation zwischen den beiden Behörden ist seit dem Beginn der Ermittlungen im Sommer 2019 von Misstrauen geprägt. Die WKStA hatte zuvor anonyme Hinweise über die angebliche Befangenheit von Soko-Ermittlern erhalten; Soko-Chef Holzer hatte das von sich gewesen.

Auf dem Smartphone des beschuldigten einstigen FPÖ-Chefs und Ex-Vizekanzlers Heinz-Christian Strache fand die WKStA dann allerdings SMS eines Polizisten der Soko – er hatte sich nach Ibiza bei Strache dessen "Rücktritt vom Rücktritt" gewünscht. Jener Polizist hatte einst auch für die ÖVP als Gemeinderat kandidiert und ausgerechnet die Ermittlungen in der ÖVP-Schredderaffäre übernommen.

Die WKStA fühlte sich getäuscht, doch der damalige Justizminister Clemens Jabloner entschied, dass eine Parteizugehörigkeit keine Befangenheit festlege.

In seinem Bericht wirft Holzer der WKStA vor, dass diese "Hintergrundrecherchen und Überprüfungen zu einzelnen Beamten" durchgeführt hat. Außerdem insinuiert Holzer, dass Besprechungsergebnisse von der WKStA nach außen getragen werden, also Medien rasch darüber berichten.

Die Soko ärgerte sich außerdem, dass ein Kanzleimitarbeiter und Chauffeur eines WKStA-Staatsanwalts die Hausdurchsuchung bei Strache begleitet hatte.

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Wie wurde das publik?

Über den Bericht der Soko Tape wurde zuerst in der Presse, dann im STANDARD, schließlich im Kurier berichtet. Zu diesem Zeitpunkt lag der Bericht schon lange im U-Ausschuss, alle Fraktionen hatten darauf Zugriff. Laut dem WKStA-Informanten sollen die Medien das Dokument von der ÖVP erhalten haben. Diese Information fällt unter das Redaktionsgeheimnis. Bislang kaum thematisiert wurde, woher der anonyme WKStA-Hinweisgeber das wissen will. Ebenso ungeklärt ist, wie der Hinweisgeber selbst an das Dokument gelangt ist. Falls es sich um ein internes Leck bei den betroffenen Medien handelt, wurde von einem Kollegen der Redakteure das Redaktionsgeheimnis aufs Gröbste verletzt. Kaum vorstellbar ist aber auch, dass jemand aus dem ÖVP-Klub das Dokument heruntergeladen und an die WKStA verschickt hat. Eine dritte, auch kaum plausible Variante wäre, dass Externe auf die Daten der Redakteure oder der ÖVP zugegriffen haben.

Wo ist der Skandal?

Die Opposition fordert, dass der U-Ausschuss-Vorsitzende Wolfgang Sobotka (ÖVP) und Parteichef Sebastian Kurz für Konsequenzen sorgen. Tatsächlich muss man hier zwischen der politischen und der journalistischen Ebene differenzieren. Es soll, gelinde gesagt, schon öfter vorgekommen sein, dass Fraktionen geheime Dokumente aus dem U-Ausschuss an Journalisten weitergegeben haben. Das ist bei Akten der Geheimhaltungsstufe 1 zwar rechtswidrig, aber de facto nicht strafbar. Journalistisch ist der Soko-Bericht relevant: Was die eine Ermittlungsbehörde über die andere denkt, ist von öffentlichem Interesse.

Politisch sieht die Opposition den angeblichen ÖVP-Leak aber als Teil einer türkisen Kampagne gegen die WKStA. Tatsächlich versucht der ÖVP-Fraktionsführer Wolfgang Gerstl in seinen Befragungen oft, den Auskunftspersonen Kritik an der WKStA zu entlocken. Auch Kanzler Kurz äußerte sich Anfang des Jahres in einem Hintergrundgespräche kritisch über die Arbeit der WKStA – ironischerweise thematisierten er und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) ausgerechnet Leaks als Problem der WKStA.

Die Opposition sieht das wahre Motiv hinter den Angriffen darin, dass die WKStA wiederholt gegen ÖVP-nahe Persönlichkeiten ermittelt hat. (Fabian Schmid, 23.7.2020)