Wien – Wer eine Grube gräbt, sorgt mitunter bei anderen für Freude – aber auch für viel Arbeit: Der Ausbau der U-Bahn ist auch für die Stadtarchäologie Wien ein Großprojekt. Denn begleitend zu den Bauarbeiten wird man zahlreiche Flächen entlang der Trasse unter die Lupe nehmen. Bei den Vorarbeiten war die Wissenschaft schon mit dabei, auch erste Funde sind bereits zu verzeichnen.

In der Bundeshauptstadt wird in den kommenden Jahren das sogenannte Linienkreuz U2/U5 errichtet. Bis 2027 soll die U2 vom Rathaus bis zum Matzleinsdorfer Platz verlängert werden. Zugleich wird es die bisher in der Nummernfolge noch fehlende Linie U5 geben. Sie wird zum Teil auf der bisherigen U2-Strecke unterwegs sein, also konkret vom Karlsplatz bis zum Rathaus. Von dort zweigt die Linie dann ab, wobei die Verlängerung im ersten Bauabschnitt nur bis zum nahegelegenen Frankhplatz führen wird.

Die Stadtarchäologie wurde von Anfang an eingebunden, wie Archäologin und Projektleiterin Kristina Adler-Wölfl, die Historikerin Heike Krause und der Archäologe Martin Mosser, der als Grabungsleiter nun am Frankhplatz aktiv ist, berichteten. Spannend gestaltet sich die Angelegenheit vor allem dadurch, dass das U-Bahn-Netz nach einigen Projekten in den Außenbezirken nun wieder innerstädtisch wächst. Gegraben wird dabei von den Wiener Linien in beachtlichen Tiefen von mehr als 30 Metern. (Auf den Webseiten der Stadtarchäologie gibt es zu den Grabungen eine interaktive Karte.)

Aushub für den U-Bahn-Ausbau im Bereich Rathaus. Die Stadtarchäologie Wien begleitet die Arbeiten.
Foto: APA/STADTARCHÄOLOGIE

Kaum Hoffnung auf anthropogene Überreste

Für Laien mag diese Zahl nach perfekten Voraussetzungen für spannende Funde klingen, tatsächlich ist der Bereich, in dem die Tunnel verlaufen, aber archäologisch kaum mehr relevant. Denn "anthropogene Reste", also menschliche Spuren, sind dort eher nicht zu finden. Gerade in den Vorstädten – und damit sind hier alle Stadtteile außerhalb des historischen Zentrums gemeint – liegt die Vergangenheit oft knapp unter der Oberfläche verborgen, wie Adler-Wölfl betonte.

Somit sind aus archäologischer Sicht vor allem die sechs U-Bahn-Stationen interessant, bei denen gewerkt wird. Insgesamt fast 25 Grabungsflächen wurden dort definiert, berichtete die Projektleiterin. Aber auch bei Haussicherungen – der offizielle Terminus lautet "Hausertüchtigungen" – entlang der Trasse darf man einen Blick in den Untergrund werfen. Dabei werden Fundamente oder Böden verstärkt, was ebenfalls Erdarbeiten nötig macht.

U-Bahn-Bauarbeiten im klassischen Sinn sind noch nicht sehr lange im Gange, Vorarbeiten aber schon seit geraumer Zeit. So mussten etwa Einbauten wie Kabel oder Gas- und Wasserleitungen verlegt werden. Und dabei wurden bereits die erste Entdeckungen gemacht. Sie könnten unterschiedlicher kaum sein. So wurden in Margareten Keramikreste gefunden, die wohl aus dem Neolithikum oder der frühen Bronzezeit stammen. Deutlich jüngeren Datums waren die Mauern, die am Matzleinsdorfer Platz wieder zutage traten. Nach einiger Recherche konnte deren Herkunft geklärt werden, wie Historikerin Krause erläuterte: Sie gehörten einst zum Gasthaus "Zum Auge Gottes".

Im Zuge des Wiener U-Bahn-Baus wurden die Fundamente des ehemaligen Gasthauses "Zum Auge Gottes" am Matzleinsdorfer Platz entdeckt.
Foto: APA/STADTARCHÄOLOGIE

Weiße Flecken

Dieses war vor rund 100 Jahren dort noch zu finden, wie historische Aufnahmen belegen. Es wurde, so viel ist bekannt, gerne von Schwerfuhrwerkern besucht, deren Sammelplatz beim nahen Linientor am Beginn der Triester Straße lag. Der Betrieb der in etwa 50 Jahre bestehenden Gaststätte endete 1903 mit der Demolierung des Gebäudes.

Fotos, Pläne und Unterlagen aus den diversen Archiven und Sammlungen – etwa der Wien-Bibliothek, des Wien Museums, dem Wiener Stadt- und Landesarchiv oder der Baupolizei – gehören demnach zum unerlässlichen Werkzeug für die Wien-Forscher. Schwierig ist die Situation dort im Bereich des einstigen Linienwalls aber trotzdem, wie Krause betonte. Denn das Wissen über diese Gegend ist eher dürftig, das Kartenmaterial oft nicht exakt.

Am zentraler gelegenen Frankhplatz, wo nun umfangreichere Grabungen begonnen haben, ist die Situation angesichts besserer Quellenlage theoretisch anders. Für Grabungsleiter Martin Mosser zeichnet sich aber jetzt schon ab, dass es auch dort neue Erkenntnisse zur Besiedlungsgeschichte Wiens geben wird. Betroffen ist eine – für Wien höchst bedeutende – Epoche, die in etwa zwischen der Bronzezeit und dem Matzleinsdorfer Wirtshaus anzusiedeln ist: die Römerzeit.

Römergräber und Reste römischer Brunnen

Über den heutigen Platz (der genaugenommen eine verkehrsreiche Kreuzung ist) führte einst der Verbindungsweg vom Römerlager Vindobona bzw. der Lagervorstadt zu den Ziegeleien im heutigen Hernals. Erwartet wurde, dass man auf Römergräber stoßen wird, die die Landstraßen säumten. Wie Mosser berichtete, wurden aber bereits Reste römischer Brunnen entdeckt. Dies bedeute, dass die Siedlung sich bis dorthin erstreckt haben dürfte, was bisher nicht bekannt gewesen sei.

Siedlungsgebiet des römischen Vindobona. Die Grafik zeigt die Lage der archäologischen Untersuchungsfläche im Bereich der U5-Station Frankhplatz.
Grafik: Stadtarchäologie Wien

Gearbeitet wird bald mehr oder weniger parallel an verschiedenen Schauplätzen. Mittelalterliche Hinterlassenschaften sind im Gebiet des heutigen Bezirks Neubau zu erwarten, also etwa dort, wo sich einst der Vorort St. Ulrich befand. Klöster, Kirchen, Produktionsstätten oder Badehäuser waren einst in dem vor den Toren der Stadt gelegenen Viertel zu finden.

Auch der aufgelassene Friedhof St. Ulrich, zwischen Zollergasse und Mondscheingasse, liegt im untersuchten Umfeld. Auf sterbliche Überreste im Bereich früherer Bestattungsorte zu stoßen, ist für die Stadtarchäologie nicht ungewöhnlich – wurden doch in Wien in den vergangenen Jahrhunderten zahlreiche Friedhöfe aufgelassen, wobei die Verstorbenen nicht umgebettet wurden. Der Wiener U-Bahn-Bau könnte damit auch die sterblichen Überreste von Mozarts Sohn Raimund zutage bringen, der 1783 im Säuglingsalter starb und in St. Ulrich begraben wurde.

Ehemaliges Gassengewirr im heutigen 6. Bezirk

Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass gerade diese Gebeine gefunden werden könnten, wie man betont. Denn der Großteil des Friedhofs wurde bereits um 1800 mit Häusern bebaut.

Perspektivische Darstellung von Wien und den Vorstädten bis zum Linienwall mit WSW-Ausrichtung von Joseph Daniel von Huber, 1769–1773.
Abbildung: Wien Museum

Auch frühere Vorstädte im 6. Bezirk werden durchquert. Möglich ist, dass dabei Reste des "Ratzenstadls" auftauchen. Die verwinkelten Gassen beim Wienfluss – offiziell hieß die Siedlung Magdalenengrund – sind samt der damaligen Bebauung schon lange verschwunden, finden sich aber noch immer auf zahlreichen Abbildungen, die das alte und vermeintlich idyllische Wien beschwören.

Die archäologischen Arbeiten werden analog zum U-Bahn-Bau an mehreren Orten parallel durchgeführt. Sollten besonders ungewöhnliche Funde es nötig machen, länger an einem Ort zu graben, können die Wissenschafter dies nicht selbst entscheiden. Vielmehr erfolgt dies in enger Abstimmung mit den Wiener Linien. Allerdings habe man bereits signalisiert bekommen, dass man in solchen Fällen auf einen gewissen zeitlichen Puffer hoffen könne, wird betont. (APA, 25.7.2020)