Selten sieht man den Times Square in New York City so leergefegt. Der Corona-bedingte Lockdown führte zu einer massiven Reduktion der menschgemachten Erschütterungen.
Foto: imago images/ZUMA Wire/Dan Harrick

Menschliche Aktivitäten lassen die Erde fortlaufend erbeben – das zeigt sich vor allem dann, wenn die Gesellschaft gezwungen ist, gleichsam leiser zu treten: Eine nun im Fachjournal "Science" veröffentlichte internationale Studie erhob erstmals weltweit die Auswirkungen der Lockdowns auf die vom Menschen verursachten Schwingungen im Boden, zumindest soweit sie von Erdbebenmessgeräten erfasst werden können. Den Beitrag aus Österreich lieferte die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG). Das Ergebnis der Untersuchung: Die Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 führten zum längsten und markantesten Rückgang von menschlich verursachten Vibrationen der Messgeschichte.

Ungewöhnlich "saubere" Messdaten

Mit Seismometern werden nicht nur Erdbeben, Explosionen und Vulkanausbrüche registriert. Auch viele andere natürliche und künstliche Einwirkungen auf die Erdoberfläche, wie Ebbe und Flut, Änderungen des Luftdrucks und menschliche Aktivität können mit diesen Geräten nachgewiesen werden. In den vergangenen Monaten gab es immer wieder einzelne Berichte über den Corona-bedingten Rückgang der sogenannten "seismischen Bodenunruhe", also der menschlich verursachten Schwingungen der Erdoberfläche. 66 wissenschaftliche Einrichtungen aus der ganzen Welt lieferten zum ersten Mal einen globalen Datensatz von 268 seismischen Stationen, die den massiven Rückgang menschlicher Aktivität widerspiegeln. In den Monaten während des Lockdowns registrierten Erdbebendienste dabei weltweit ungewöhnlich "saubere" Messdaten, die in den nächsten Jahren und Jahrzehnten als wichtige Referenzwerte für Grundlagenforschung und praktische Anwendungen dienen werden.

Für den Beitrag Österreichs zur Studie war Maria-Theresia Apoloner verantwortlich, Seismologin an der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG): "Wir haben unter anderem die Erdbebenstationen in Wien und in Damüls in Vorarlberg untersucht. So haben wir Daten aus einer Millionenstadt im Flachland und aus einer kleinen Gemeinde in einem alpinen Tal. Das Seismometer in Wien registriert Bodenbewegungen mit Nanometergenauigkeit, also Millionstel von Millimeter pro Sekunde. Während des Lockdowns gingen die Messwerte um bis zu 25 Prozent durchschnittlich zurück. In Damüls waren die Messwerte kurzzeitig sogar um bis zu 60 Prozent reduziert.

Gradmesser für Aktivität und Mobilität

Der Vergleich der weltweiten Daten zeigt für nahezu die gesamte Erde eine Reduktion der menschlich verursachten Bodenschwingungen, beginnend mit China im Jänner 2020, gefolgt von Europa und vielen anderen Ländern im März und April 2020. Der Rückgang war in vielen Regionen stärker als in den normal ruhigsten Zeiten des Jahres, wie beispielsweise an Wochenenden und zu Weihnachten. Im weltweiten Mittel ging die seismische Bodenunruhe von März bis Mai 2020 um rund 50 Prozent zurück.

Die Grafik zeigt den Rückgang der Bodenbewegung während des Lockdowns in Wien.
Grafik: ZAMG

Ein erstes Ergebnis der Messungen ist auch, dass seismische Bodenunruhe ein guter Indikator für menschliche Aktivität und Mobilität ist. In Brüssel zum Beispiel gingen während des Lockdowns die menschlich verursachten Bodenschwingungen um 33 Prozent zurück. Das entspricht sehr gut dem Rückgang des mit Mikrofonen gemessenen Stadtlärms und der Auswertung von Bewegungsdaten. Ähnlich Ergebnisse gab es auch aus Rundu in Namibia, wo die Bevölkerungsdichte fünf bis acht Mal geringer ist als in Brüssel. Laut der Studie könnten somit zukünftig Informationen über die menschliche Aktivität und Mobilität auch mit seismischen Messungen gewonnen werden. Ein Vorteil ist, dass dabei deutlich weniger Probleme mit Datenschutz entstehen als bei Messungen mit öffentlichen Mikrofonen und der Auswertung von Handy-Daten.

Weniger Tourismus, weniger Erschütterungen

In Städten mit einem dichten seismischen Messnetz, wie in Boston (USA), zeigte sich eine deutliche Reduktion der Bodenschwingungen während der Lockdowns im Bereich von größeren Schul- und Universitätsanlagen. Hier war die Bodenunruhe um bis zu 20 Prozent geringer als in Ferien. Auch der Rückgang touristischer Aktivitäten ist in den Messungen der Erdbebenstationen sichtbar. Auf Barbados, in der Karibik, ging die seismische Bodenunruhe bereits ein bis zwei Wochen vor der Ausgangssperre deutlich zurück. Der Vergleich mit Flugdaten zeigte, dass in dieser Zeit viele Touristen abreisten und die Zahl der Flüge allmählich zurückging. Während der Ausgangssperre reduzierte sich die seismische Bodenunruhe auf Barbados dann um 50 Prozent gegenüber der für die Jahreszeit üblichen Werte.

Die menschlich verursachten Bodenschwingungen sind kurzwellig und wirken daher meist nur relativ kleinräumig, im Unterschied zu den langwelligen Erdbebenwellen, die über tausende Kilometer durch die Erde wandern. Die Daten der neuen Studie zeigten aber, dass menschliche Aktivitäten auch einige hundert Meter in der Erde noch messbar sind, wie Aufzeichnungen aus einem 380 Meter tiefen Bohrloch in Auckland (Neuseeeland) ergaben. Auch hier führte der Lockdown zu einem deutlichen Rückgang der Bodenunruhe durch menschliche Aktivitäten.

Seismometer rund um den Globus registrierten während des Lockdowns eine deutliche Beruhigung.
Grafik: Caroline Brogan

Neue Messgröße

Die während der Lockdowns gemessenen Daten sind künftig für viele Bereiche wichtige Referenzwerte. "Die durch Menschen verursachte seismische Bodenunruhe ist meistens störend bei den Messungen, das mit aufwändigen Verfahren herausgerechnet werden muss, um Erdbeben besser analysieren zu können", sagt ZAMG-Seismologin Apoloner. "Die neuen Daten helfen uns, industrie- und verkehrsbedingte Erschütterungen zu identifizieren, wodurch wir diese besser eliminieren können. Außerdem zeigen uns die Daten, wo sich in Österreich Gebiete mit sehr geringer Bodenunruhe befinden die optimale neue Standort für Seismometer wären."

Weiters nutzen die Daten bei Fragen der Erdbebengefährdung, sagt Maria-Theresia Apoloner: "Je genauer wir über den Untergrund Bescheid wissen, desto besser lässt sich die Erdbebengefährdung einer Region bestimmen. Bisher konnten wir Informationen über den Aufbau des Erdinneren vor allem durch die Art der Ausbreitung von Erdbebenwellen bestimmen. In letzter Zeit gab es aber interessante Studien, die seismische Bodenunruhe an verschiedenen Bebenstationen verglichen um damit die Struktur des Untergrundes zu analysieren. Der Vorteil ist, dass diese seismische Unruhe immer da ist, und diese kann für lokale Bodenuntersuchungen herangezogen werden." (red, 25.7.2020)