MP3, nicht gerade geliebt, aber gängig.

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Der 1877 von Thomas Alva Edison vorgestellte Phonograph als Nebenprodukt von Telegraf und Telefon war eine Revolution, weil damit erstmals akustisch-mechanische Tonaufnahmen möglich gemacht wurden. Von 1948 herauf explodierte nach den Schellacks mit der Einführung der Vinyl-Schallplatte der Markt für Tonträger hauptsächlich auch über die Entdeckung der Teenager als wohlstandsverwöhntes, kaufkräftiges und also schröpfbares Publikum. Sinatra, Elvis, Beatles, danke, danke, danke.

Ab den 1980er-Jahren kam mit ihrem weltweiten Siegeszug sowie der unfassbar großen Spange zwischen Herstellungskosten und Verkaufspreis die CD dazu. Ihre Absätze gingen vor allem in den frühen 1990er-Jahren durch die Decke. Danke, Tina Turner, danke, Phil Collins, danke, Michael Jackson. Im Gegensatz zu Konzernen wie Philipps, Columbia oder später Sony, die sowohl Tonträger produzierten als auch die dazugehörigen, jeweils neuesten und teuren Abspielgeräte war die allergrößte Innovation allerdings eine der hehren Wissenschaft und nicht des schnöden Gewinnstrebens.

Verlust der Unschuld

Im Juli 1995, also vor 25 Jahren wurde in der Münchener Fraunhofer Gesellschaft das Format MP3 mehr oder weniger als technische Machbarkeitsstudie ohne besondere Hintergedanken vorgestellt. MP3 sollte die Musikwelt so radikal verändern, dass die Musikindustrie daran fast zugrunde gegangen wäre. MP3 dient im täglichen Sprachgebrauch längst als Sammelbegriff für komprimierte digitale – und vor allem downloadbare – Formate, zu denen seitens verschiedener Anbieter etwa auch FLAC, WAV oder ALAC gehören. Allerdings sollte das anfänglich unschuldige Format, dass anfangs von Firmen auch noch als Teaser eingesetzt wurde, um die Kundschaft zum legalen Kauf der Files oder gar noch der CDs zu animieren, spätestens Anfang der Nullerjahre seine Unschuld verlieren.

Mit (illegalen) Internet-Tauschbörsen wie Napster, gegen die Anfang der Nuller-Jahre damals vor allem die US-Band Metallica wetterte (Danke, Metallica!) und ein Jahr darauf mit der Markteinführung des tragbaren MP3-Players sowie im Jahr 2001 iTunes zerbröselte der Musikmarkt zunehmend in kleinteilige Genres und Marktnischen. Halbwegs bekannte Musiker können nicht wie früher im Zweifel daheim sitzen bleiben und Geld über analoge oder digitale Verkäufe ihrer Kunst lukrieren. Geld wird heutzutage vorwiegend über teure Konzertkarten gemacht.

Soundfile-Partys

Rund um das Millennium jedenfalls ging die Musikindustrie, die speziell im Jahrzehnt davor nicht wusste, wohin mit all der geilen Kohle, richtiggehend Baden. Die legalen Verkäufe brachen ein. Computer wurden billiger, die Internet-Geschwindigkeit stieg. Man erinnere sich nur an all die Soundfile-Partys mit Freunden, während derer man sich gegenseitig tausende Songs auf die MacBooks überspielte. Immer wieder hörte man von Prozessen gegen illegale Downloader, persönlich kannte man niemanden, der jemals Schwierigkeiten mit der Justiz bekam, bloß weil er auf einen Sitz das Gesamtwerk von Bob Dylan oder das Schwarze Album von Prince herunterlud.

Mediokre Soundqualität

Das größte Problem mit MP3s war natürlich immer die Tonqualität. Im Gegensatz etwa zur Studioqualität einer WAV-File klingt eine MP3 auch heute noch auf einer guten Club-Anlage mindestens medioker. Das komprimierte Format besitzt allerdings im Gegensatz etwa zur CD einen unschlagbaren Vorteil: Digital ist gut, aber gratis ist er besser. Von der jungen Zielgruppe hört heute nur noch ein kleiner Teil Musik anders als über die Blechlautsprecher des Smartphones.

Apple hält heute mit iTunes immer noch am Bezahlsystem für MP3 fest. Obwohl Streaming-Dienste wie Spotify, die es anfangs auch noch mit zusätzlicher Bezahl-Download-Möglichkeit probierten, den Markt ab Ende der Nullerjahre endgültig zermerscherten. Die Frage, wer heute aus dem Bekanntenkreis tatsächlich noch für Musik zu zahlen bereit ist, muss so beantwortet werden: alte Männer mit Vinyl als Religion. Eine absolute Minderheit. Sie glaubt auch noch an das Album- und nicht das längst dominierende Single-Format. Übrigens befindet sich auch gerade Spotify mit seinem Abo-System schon wieder in der Krise. (Christian Schachinger, 24. 7. 2020)