Die Übergangsregierung war sich eigentlich schon vor einem Jahr einig: Sogenannte Konversionstherapien, die in manchen Freikirchen stattfinden, sollten verboten werden.

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Es wurde laut gesungen, leidenschaftlich gebetet, die Arme wurden in die Höhe geworfen. Viele kennen Szenen wie diese aus US-amerikanischen Filmen, so wie Florian*. Der damals 14-Jährige kam über Freunde zu so einem lebhaften Gebetskreis. "Es erschien mir alles sehr glamourös, und die Menschen dort waren jung und sehr nett", erinnert er sich an die Gemeinschaft, in der Katholiken und Protestanten ebenso wie Gläubige aus verschiedensten Freikirchen waren. Das war Mitte der 1990er, doch die psychische Belastung und der Druck, den Jugendliche, die nicht in das Weltbild mancher religiösen Gemeinschaften passen, sind nicht weniger geworden. Im Gegenteil.

Freikirchen wurden jetzt zum Thema, weil sich auch dort Corona-Cluster bildeten. Dabei sind sie schon länger ein bedenkliches Phänomen. Missionieren gehört zu ihren zentralen Aufgaben, so verbreiten sie ein teils erzkonservatives Weltbild, unter dem Kinder und Jugendliche oft lange leiden. Bei Florian war es die Idee von Homosexualität als etwas Sündhaftes, die an ihm nagte.

Kein guter Zeitpunkt

Etwa 300 Freikirchen gibt es in Österreich, 160 davon sind als gesetzlich anerkannte Kirchen im Bund der Freikirchen in Österreich (FKÖ) organisiert. Entlang der Grenze "anerkannt" und "nicht anerkannt" lässt sich aber oft nicht sagen, wie radikal eine Gruppe ist. So pflegen auch Mitglieder anerkannter Kirchen wie der Zeugen Jehovas gefährliche Praktiken, wie etwa das Verweigern von Bluttransfusionen. Dass sich Corona-Cluster auch innerhalb einer Gemeinschaft der Pfingstkirche gebildet haben, überrascht Ulrike Schiesser von der Bundesstelle für Sektenfragen nicht. Das entspreche ihrer Vorstellung, dass bei Krankheit der Glauben die Heilung bringt.

Es ist also kein guter Zeitpunkt für das stetige Anwachsen von Freikirchen, das Schiesser sogar als "wilde Auswüchse" bezeichnet. Zahlen dazu gibt es nicht, denn "Freikirchen" seien ein Containerbegriff für alle möglichen Gemeinschaften, von liberal bis erzkonservativ. Bei Florian war es ein kleiner Kreis innerhalb der Gebetsgruppe, der meinte, er könne seine Homosexualität "heilen".

Was Florian von damals erzählt, stimmt mit den aktuellen Erfahrungen der Expertin Schiesser noch immer überein. Etwa dass derartige Gemeinschaften sehr um ein junges Image bemüht sind. "Sie sind cool angezogen, haben eine coole Sprache – und sind erzkonservativ", erzählt Florian. Neuankömmlinge werden besonders warmherzig empfangen.

Sommercamp mit Bibel

Damals wie heute bieten viele Freikirchen Sommercamps an. Dass hinter dem Betreuungsangebot eine religiöse Gruppe steht, ist auf den ersten Blick oft nicht zu erkennen. In Podersdorf bot etwa die Kinder-Evangelisations-Bewegung unter dem flotteren Namen "Kids Team" bis vor kurzem jeden Sommer Camps an. "Die meisten Eltern glaubten, es wäre ein Angebot der evangelischen Kirche und schon okay", erzählt Schiesser. Als ihre Kinder dann mit der Bibel heimkamen, wurde Kritik laut. Solcher Kritik begegnen manche Freikirchen damit, dass sie ihren Namen ändern und so kritische Berichte schwer auffindbar werden.

Einen wichtigen Unterschied zu den 1990ern sieht Ulrike Schiesser allerdings doch: Die Ausrichtung vieler christlicher Gruppen und Freikirchen wird tendenziell eher konservativer. Liberale Gläubige verabschieden sich, wenn das dortige Weltbild zu radikal wird. Übrig bleiben eher die Strenggläubigen.

Konflikte entstehen mit jenen Gemeinschaften, die selbst Bibelstellen, die das Schlagen von Kindern befürworten, als Auftrag Gottes verstehen. Sex vor der Ehe und Homosexualität sind tabu. In einer noch immer an Heterosexualität als das "Normale" orientierten Gesellschaft braucht es nicht viel, um einen 16-Jährigen dazu zu bringen, sich auf eine "Therapie" gegen seine Homosexualität einzulassen, sagt Florian. "Wer will mit 16 schon nicht so sein wie alle anderen? Wenn dir jemand genau das verspricht, sagt man nur: Ja bitte!"

Um sich zu "heilen", wurde ihm ein Arbeitsbuch von Living Waters in die Hand gedrückt, einer Organisation, die vor allem in den USA die sogenannten Konversionstherapien betreibt. Florian musste das Buch Kapitel für Kapitel durcharbeiten, begleitet von einem wöchentlichen Termin mit einem Begleiter, dem er jeden "unkeuschen Gedanken" gestehen musste. Florian brauchte viele Jahre, um sich davon zu erholen, und litt lange unter Depressionen.

Deutschland hat diese Praktik kürzlich verboten. Der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sieht in dem Gesetz ein wichtiges "Zeichen an alle, die mit ihrer Homosexualität hadern".

Druck auf junge Menschen

Eigentlich war man sich auch in Österreich über ein Verbot solcher Pseudotherapien einig: Vor einem Jahr wurde ein entsprechender Entschließungsantrag der SPÖ und der ÖVP einstimmig angenommen. "Wir stoppen heute Homo-Heiler in Österreich", freute sich damals Mario Lindner (SPÖ) etwas zu früh. Von ihm ging die Initiative aus. Doch die dazu geplante Arbeitsgruppe entschied im Herbst 2019, noch vor Antritt der neuen Regierung, dass ein Verbot doch nicht nötig sei, weil es bereits Konsequenzen gibt, wenn jemand gegen seine Berufsverpflichtungen verstößt.

Das reicht nach Einschätzung der Kinder- und Jugendanwaltschaft (KJA) nicht. Konversionstherapien werden oft außerhalb therapeutischer Berufskontexte angeboten und durchgeführt, etwa durch Laienprediger christlicher Glaubensgemeinschaften oder Seelsorger. "Bei ihnen greift das Berufsrecht nicht", sagt der Kinder- und Jugendanwalt Ercan Nik Nafs. Ein Verbot würde auch freiwillige Konversionstherapien betreffen, wie es etwa bei Florian der Fall war. "Wir dürfen nicht vergessen, dass großer Druck auf jungen Menschen, die in einer religiösen Gemeinschaft aufwachsen, lastet, wenn sie homosexuelle Neigungen spüren", so Nik Nafs. Durch verinnerlichte homo- und transphobe Glaubenssätze würde sie ihre Gefühle als "falsch" erleben.

Kritik an Teenstar

Religion und Kinderrechte, das erachtet man bei der KJA generell als schwieriges Verhältnis. Es werde vielfach versucht, mit dem Argument des Kinderschutzes die Rechte auf sexuelle Selbstbestimmung und bestmögliche Entwicklung zu untergraben. In diesem Zusammenhang wurde 2018 auch das sexualpädagogische Angebot des Vereins Teenstar heftig diskutiert, durch den höchst ideologische Vorstellungen von Sexualität in Schulen getragen wurden. "Kinder müssten sich mit ihren Bedürfnissen selbstbestimmt und vorurteilsfrei auseinandersetzen", sagt Nik Nafs. Das Kennen der eigenen Bedürfnisse sei grundlegend, um sich vor Missbrauch jeglicher Art schützen zu können. "Zahlreiche religiös-fundamentalistische Gruppen schaden Kindern und Jugendlichen hier massiv", ist man bei der KJA überzeugt.

Florian konnte sich erst nach drei Jahren aus diesem Kreislauf aus Hoffnung, Verzweiflung und Scham befreien. Geholfen hat, dass sein "Begleiter" nach Kolumbien ging, um dort zu missionieren. Doch vor allem half, dass er Halt bei seiner Familie fand, die mit strengreligiösen Ansichten nie viel anfangen konnte. Seine Schwester und seine Mutter, "sie haben mir schon mit 16 Jahren gesagt, dass mit mir alles okay ist". (Beate Hausbichler 25.7.2020)