Eigentlich hätten die Grünen das Frauenressort besetzen wollen, doch die ÖVP ließ es nicht los. Pauschale Kritik an ÖVP-Ministerinnen hält Raab für sexistisch.

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Nach dem Telefonat mit dem baldigen Kanzler bekam sie ein paar Stunden Bedenkzeit. Drei, vielleicht vier, dann erwartete Sebastian Kurz die Rückmeldung. Susanne Raab besprach sich mit ihrem Mann. Ja? Ja. Es war schnell klar.

Dezember 2019, Raab war damals die jüngste Sektionschefin der Nation. Und sie nahm Kurz’ Angebot an: Sie wurde Bundesministerin für Frauen und Integration. "Es war ein großer Schritt", erinnert sie sich im Gespräch mit dem STANDARD. Raab hat eine warme Stimme, man hört die Oberösterreicherin heraus. "Ich war Beamtin und noch nicht einmal ÖVP-Mitglied, aber ich wollte in die Politik."

Grüne bissen auf Granit

In den Tagen zuvor war intensiv um ihr Ressort gefeilscht worden – oder zumindest um einen Teil davon. Die Grünen wollten die Frauenagenden. Und sie waren bereit, dafür einen hohen Preis zu zahlen. Feminismus ist ein Kernthema der Ökopartei, da hat sie Kompetenz, da könnte sie sich profilieren.

Doch die ÖVP wollte das Frauenressort nicht hergeben – ein Ressort, das bisher mit läppischen zehn Millionen Euro Jahresbudget auskommen musste. Grünenchef Werner Kogler, später Vizekanzler, bot schließlich sogar die mit dem fast fünfzigfachen Budget ausgestatteten Kunst- und Kulturagenden im Tausch gegen das Frauenministerium an. Doch bei den türkisen Verhandlern biss er auf Granit.

So wurde Raab mit 35 Jahren Ministerin, nicht nur für Integration, ihr Leibthema, auf das sie sich gleich zu Beginn ihrer Karriere spezialisierte. Sondern eben auch für Frauen. "Überrascht war ich nicht. Ich habe die frauenpolitische Perspektive schon in der Integration immer mitgedacht."

Unter Beschuss

In den vergangenen Wochen stand Raab unter Beschuss. Nicht nur sie, auch ihre Ministerkolleginnen Christine Aschbacher, Klaudia Tanner – eigentlich alle Frauen im Team von Kurz. Sie seien inkompetent, Sprechpuppen, türkise Erfüllungsgehilfinnen, urteilten Journalisten und die Twitter-Community nach Auftritten der Ressortchefinnen. Die türkisen Ministerinnen gehören ausgetauscht, ließ Journalismusdoyenne Anneliese Rohrer die Nation wissen. Aber ist die Kritik auch sachlich gerechtfertigt?

Fest steht: Raab ist keine progressive Frau. Bei Migranten fährt sie einen streng restriktiven Kurs. "Integration durch Leistung", "Fordern und fördern" – das sind die Slogans des heutigen Kanzlers und vor allem seines Chefberaters Stefan Steiner, mit dem Raab lange zusammengearbeitet hat. Sie predigt diese Phrasen in fast jedem Interview.

Die türkisen Positionen hatte sie bereits verinnerlicht, als die ÖVP noch schwarz und sie Spitzenbeamtin in Kurz’ Integrationsressort war. "Sie konnte gar nicht verstehen, dass es andere Sichtweisen geben kann", erzählt einer, der mehrfach mit Raab am Verhandlungstisch saß.

Sexismus am Arbeitsplatz

Raab ist wahrscheinlich auch die erste Frauenministerin seit Herbert Haupt, die das Label "Feministin" ablehnt. "Ich bin zu hundert Prozent Kämpferin für Frauen", aber die Zuschreibung möge sie nicht, erklärt Raab. Es sind Sätze wie diese, an denen sich viele stoßen. Häme brachte ihr auch ein, als sie kurz nach ihrem Amtsantritt sorglos in einem Interview mit dem Boulevard tönte, noch nie Sexismus am Arbeitsplatz erlebt zu haben. Das sei doch naiv, befanden viele Kommentatoren.

Ein paar Monate später sieht die Situation anders aus: "Pauschale Kritik an den Ministerinnen disqualifiziert sich von selbst", ist Raab überzeugt. Ob die Kritik denn auch sexistisch sei? "Jegliche pauschale Verurteilung aufgrund des Geschlechts hat etwas Sexistisches."

Von jemandem aus dem Regierungsumfeld wird ihr attestiert: "Von allen türkisen Ministerinnen ist Raab die am wenigsten trittsichere und oft planlos." Die Kritik an den anderen Ressortchefinnen sei inhaltlich weniger begründet als jene an Raab. Beamtenkolleginnen beschreiben sie hingegen als sehr engagiert, im Migrationsbereich verfüge sie über hohe Sachkenntnis. Insbesondere für das Kopftuchverbot habe sie sich damals richtig ins Zeug gelegt.

Paritätisch, jung und modern

Aber warum besteht die ÖVP auf das Frauenministerium und engagiert dann eine Integrationspolitikerin, die auch in erster Linie mit Migrationsthemen auffällt? Die Volkspartei kann natürlich davon profitieren, Frauen- und Migrationsagenden zu verknüpfen. Ihre Zielgruppe spricht das mehr an als starke feministische Frauenpolitik.

Gleichzeitig wäre eine grüne, progressive Frauenministerin bei der türkis-schwarzen Klientel womöglich gar nicht gut angekommen. Raab ist zwar inhaltlich hart, aber im Auftritt eine freundliche, junge Frau – eine Kombination, auf die das Team von Kurz gerne setzt. Denn selbst, wenn Ressortchefinnen nicht glänzen: Die Regierungsmannschaft ist paritätisch, jung und modern besetzt.

Aufgewachsen ist Raab in der Idylle. Mit ihren Eltern und der älteren Schwester wurde sie in Ampflwang im Hausruckwald groß, einer oberösterreichischen 3350-Einwohner-Gemeinde. Raabs Mutter ist Krankenschwester, ihr Vater arbeitet in der Bank. Sie und ihre Schwester sind die ersten in der Familie, die studieren. Raab entscheidet sich für Psychologie und Jus an der Universität Innsbruck. In Jus macht sie sogar ihren Doktor. Das Psychologiestudium habe ihr aber auch gefallen: "Ich habe mich schon immer für Menschen interessiert."

Ein seltsamer Zufall in Raabs Lebensgeschichte ist, dass sie gleich zwei ihrer Regierungskolleginnen aus Jugendtagen kennt. Im Vorstand der ÖVP-nahen Schülerunion saß sie mit Christine Kowald, die heute Aschbacher heißt und das Ministerium für Arbeit, Familie und Jugend leitet. Raab selbst hieß damals und bis zu ihrer Hochzeit vor drei Jahren Knasmüller. Justizministerin Alma Zadić lernte sie im Studium kennen. Raab und sie waren in der European Law Students Association aktiv.

Kurz und die Freundschaft

Kurz begegnete Raab hingegen erst im Jahr 2011, als er Integrationsstaatssekretär wurde. "Seine klare Sprache hat mir schon damals gefallen", sagt sie. Angefreundet hätten sich die beiden aber nicht. "Ich hatte zu ihm immer ein sehr gutes, professionelles Verhältnis."

Bis Herbst will Raab nun eine Dokumentationsstelle Politischer Islam einrichten. Einige waren darüber überrascht, da im Regierungsprogramm noch von einer Anlaufstelle für Antisemitismus, Rassismus und Extremismus die Rede war. "Schlampig formuliert", heißt es dazu aus Regierungskreisen. Eine gemeinsame Stelle für alles sei nie geplant gewesen.

Kritisiert wird Raab derzeit auch für eine Befragung zu "sozialen Brennpunkten", die sie kürzlich präsentierte. Der renommierte Meinungsforscher Günther Ogis bezeichnet die Erhebung als "Schulbeispiel absichtlicher Verzerrung". Herausgekommen war etwa, dass Wiener soziale Probleme, Gewalt und Abschottung mit Migration in Zusammenhang bringen.

Es sind Geschichten wie diese, die Raab im Parlament den Ruf einbrachten, die türkise Verbinderin nach rechts außen zu sein. Belege gibt es dafür keine. Raab selbst hält sich mit solchen Gerüchten nicht auf. Sie ist eine Frohnatur, wie sie selbst sagt.

Mit ihrem Mann lebt sie in Niederösterreich. "Ich mag das Landleben, die Berge, die Wälder." Beide sind leidenschaftliche Mountainbiker, der Gatte sogar Ironman. "Um mit ihm beim Radeln mithalten zu können, fahre ich E-Bike." (Katharina Mittelstaedt, 25.7.2020)