"Ein Leben ohne Knast ist wie ein Baum ohne Ast. Aber ich brauch das nicht mehr": Hannes Kartnig, hier bei der Grazer Opernredoute 2019.

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Alpen-Berlusconi, sagt Hannes Kartnig, wurde er genannt, als er gleichzeitig Vereinen im Eishockey und im Fußball vorstand. Sturm Graz war zum Höhepunkt seiner Ära richtig erfolgreich und am Ende richtig pleite. Kartnig macht sich kaum Vorwürfe, höchstens jenen, Gegner in den eigenen Reihen unterschätzt zu haben. "Es ist genauso wie in der Politik."

STANDARD: Was muss der Präsident eines österreichischen Fußballvereins können, wenn er ein guter oder, sagen wir, ein erfolgreicher Präsident sein will?

Kartnig: Ein Geld muss er haben oder aufstellen. Die richtigen Leute muss er finden, das richtige Management, den richtigen Trainer.

STANDARD: Muss er über die Maßen risikobereit sein?

Kartnig: Fußball ist vor allem auch eine Glückssache. Die besten Mannschaften können scheitern. Natürlich muss man riskieren. Ohne Risiko bist du chancenlos.

STANDARD: In den vergangenen 25 Jahren ist eine ganze Reihe von Vereinspräsidenten vor Gericht gestanden und verurteilt worden. Oft nach großen Erfolgen – siehe Kartnig bei Sturm Graz, Bruckmüller und Kerscher beim FC Tirol oder Roth beim GAK. Diese Vereine sind nach sportlichen Erfolgen wirtschaftlich abgestürzt. Dazu kommen andere wie Rieger beim LASK oder zuletzt die Causa Pucher beim SV Mattersburg. Haben die alle das Risiko übertrieben?

Kartnig: Ich kann nur für mich sprechen. Ich hätte nie und nimmer damit gerechnet, dass ich angeklagt werden und vor Gericht landen könnte.

STANDARD: Als Sturm Graz erfolgreich war, hat es von Landeshauptfrau Waltraud Klasnic abwärts außer Schulterklopfern nur Schulterklopfer gegeben. Haben Sie sich zu sicher gefühlt?

Kartnig: Mein Problem war, dass sich Leute im Verein gegen mich gestellt haben. Sonst hätte ich alles noch locker hinbekommen. In den eigenen Reihen musst du aufpassen, es ist genauso wie in der Politik. So bin ich das Bauernopfer im österreichischen Fußball geworden. Ja, wir haben schwarz gezahlt, aber das tun doch alle. Alle bis auf die Deutschen – und vielleicht auch die Engländer. Aber die kassieren so viel an TV-Geldern, die spielen sowieso in einer anderen Liga. Auch in Österreich gab oder gibt es Ausnahmeerscheinungen wie den Stronach oder den Mateschitz. Da braucht es kein Schwarzgeld.

STANDARD: Sie wurden wegen schweren Betrugs, grob fahrlässiger Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen und Steuerhinterziehung zu 15 Monaten unbedingt verurteilt – und sehen sich als Bauernopfer?

Kartnig: Was soll das Kasperltheater? Ja, wir haben schwarz gezahlt, dazu steh ich. Aber glauben Sie, ich hab das System erfunden? Solange du erfolgreich bist, stehen alle neben dir. Da bist du der Kaiser. Alpen-Berlusconi haben sie mich genannt, weil ich wie der Berlusconi gleichzeitig Präsident im Eishockey und im Fußball war. Wenn du Erfolg hast, kannst du jedem eine Freikarte schenken. Aber bei Misserfolgen wirst du gekreuzigt. Deshalb gehen vernünftige Leute nicht mehr als Präsident. Vernünftige Leute lassen sich nicht beschimpfen.

STANDARD: Sie haben aber schon auch selbst sehr gern provoziert.

Kartnig: Durch Provokation kriegst du die Medien. Durch die Medien kriegst du die Sponsoren. Ich war immer mutig. Früher hat’s mehr echte Typen gegeben, den Joschi Walter, den Rudi Quehenberger, den Rudi Edlinger. Heute traut sich ja kein Präsident mehr, etwas zu sagen. Und der Fußball ist sowieso meistens schrecklich, von Salzburg einmal abgesehen.

STANDARD: Haben Sie sich während der Haft nie gedacht, dass Sie etwas getan haben, das Sie besser nicht getan hätten? Haben Sie nie bereut?

Kartnig: Was war ich für ein Trottel, das hab ich mir auch in der Haft nie gedacht. Vielleicht weil ich Gott sei Dank gesund geblieben bin. Richtig eingesperrt war ich ja nur vier Monate lang, ansonsten hab ich die Fußfessel gehabt oder bin als Freigänger nur zum Schlafen reingegangen. Wirklich schlimm ist, dass du mit Kinderschändern und Vergewaltigern zusammenkommst. Aber die Beamten waren okay, die haben alle gesagt: "Herr Kartnig, Sie gehören ja gar nicht hierher."

STANDARD: Ist es dafürgestanden, hat es sich ausgezahlt?

Kartnig: Was soll ich sagen, der Fußball war schon eine traumhafte Zeit. Nur eine Geschichte aus der Champions League: Vor dem letzten Spiel damals in Istanbul haben sie uns bespuckt und unseren Bus mit Steinen beworfen. Dann steigen wir mit einem 2:2 als Gruppensieger auf und nehmen Galatasaray als Zweiten mit in die nächste Phase. Die Türken waren froh, dass wir ihnen kein drittes Tor mehr gemacht haben. Nachher haben sie uns auf Händen getragen. Alles hätten wir von denen haben können. Ich sag’s Ihnen, ich hab so viel erlebt, ich könnte Ihnen Sachen erzählen. Der Fußball ist ein Wahnsinn.

STANDARD: Martin Pucher hat mit Mattersburg nie in der Champions League gespielt.

Kartnig: Aber wenn du dich mit Mattersburg so lange in der obersten Liga hältst, bist du dort wahrscheinlich auch ein Kaiser.

STANDARD: Macht der Erfolg süchtig? Will man als Präsident immer mehr, immer mehr, immer mehr?

Kartnig: Erfolgreich bist du nur, wenn du den Job mit ganzem Herzen machst. Natürlich willst du, wenn du etwas erreicht hast, erfolgreich bleiben. Das ist nicht leicht, weil von guten Teams immer einige Spieler weggehen. Die musst du ersetzen, das kostet viel und gelingt nicht immer.

STANDARD: Wie oft sind Sie heutzutage im Stadion? Geht Ihnen der Fußball, gehen Ihnen die Schulterklopfer nicht ab?

Kartnig: Ich werde oft angeredet, dass ich Sturm wieder übernehmen soll. Aber der Fußball fehlt mir nicht. Ich geh nicht nach Liebenau, warum soll ich mich beleidigen lassen? Lieber schau ich mir ein Länderspiel an, ab und zu bin ich beim Eishockey. Wenn du das wirklich ordentlich machen willst und nicht der Mateschitz bist, stehst du automatisch mit einem Fuß im Häf’n. Man sagt zwar, ein Leben ohne Knast ist wie ein Baum ohne Ast – aber ich brauch das nicht mehr. (Fritz Neumann, 26.7.2020)