Julihitze und Eishockey, natürlich passt das zusammen. Auf den Stufen hinauf zum Leithana stapelt sich Eishockeyklumpert, da liegen Schoner, Hosen, Handschuhe, Schlittschuhe, Helme und Brustpanzer. Die Sonne trocknet das nassgeschwitzte Zeug, das dann vielleicht nicht so lange und so arg miachtelt wie sonst.

Marco Rossi (18) blickt zurück auf eine spielfreie Zeit, die ihm viel gebracht haben sollte. Und nimmt sich viel vor für seine NHL-Zeit. "Ich will den Stanley Cup gewinnen."
Foto: Heribert CORN

Bruck an der Leitha ist das Zentrum des östlichsten Verwaltungsbezirks Niederösterreichs, man würde hier nicht unbedingt ganzjähriges Eis vermuten. Doch 2016 hat das Sportareal Leithana aufgesperrt, neben dem Eisrink gibt es Fit- und Wellnesseinrichtungen, ein Restaurant und ein Hotel mit 27 Dreibettzimmern. Die Anlage profitiert von ihrer Lage im Dreiländereck, auch Slowaken und Ungarn buchen sich für Trainingslager, Turniere und Hobbypartien ein.

Der prominenteste Gast in diesem Sommer heißt Marco Rossi. Der erst 18-jährige Vorarlberger strebt einer großen Karriere in der National Hockey League (NHL) entgegen, im heurigen Draft, der von Juni auf 9./10. Oktober verschoben und virtuell abgehalten wird, wird Rossi als einer der Ersten gezogen werden. Er gilt nicht nur als eines der größten Talente weltweit, er ist es. Rossi wandelt auf den Spuren des Steirers Thomas Vanek, der 2003 an fünfter Position gedraftet wurde und von 2005 bis 2019 mehr als tausend NHL-Partien bestritten hat.

Ziel: Vanek übertreffen

Das alles und auch die Gagen Vaneks, der etwa 2007 für sieben Jahre und 50 Millionen Dollar bei den Buffalo Sabres unterschrieben hat, würde Rossi klarerweise nehmen. Aber er will noch mehr. "Ich will den Stanley Cup gewinnen", sagt Marco Rossi, während er in der Leithana-Kabine 1 seine Schuhe schnürt.

Begonnen hat Rossi bei der VEU Feldkirch, wo einst auch sein Vater Michael als Verteidiger spielte. Mit 13 wechselte er nach Zürich zu den ZSC Lions, der Vater führte ihn hin und her, in vier Jahren spulten sie 475.000 Kilometer mit dem Auto ab. "Das Auto war danach zum Wegschmeißen. Ich eigentlich auch", hat Michael Rossi in einem STANDARD-Sportmonolog geschildert. Es könnte sich bald ausgezahlt haben. Nach dem Draft wird Rossi jun. einen Standardvertrag über 2,775 Millionen US-Dollar für drei Jahre unterschreiben. Und hernach könnte es dann so richtig rascheln.

Marco Rossi hat Kraft und Kondition getankt und schließlich "auf dem Eis gespürt, welche Fortschritte ich gemacht, wie viel ich in der Pause herausgeholt habe".
Foto: Heribert Corn

Herr Rossi sucht das Glück: Dieser Titel eines italienischen Trickfilms von 1976 zierte schon viele Marco-Rossi-Geschichten. Der junge Eishackler will sein Glück flott finden, er will im Draft "so hoch wie möglich sein" und geht davon aus, dass er Mitte Oktober nach Nordamerika reist, zu einem vierwöchigen Aufenthalt im Trainingslager seines neuen Arbeitgebers, wohin auch immer. Im Draft zuerst an der Reihe sind die Los Angeles Kings, Ottawa, Detroit, Anaheim, New Jersey und Buffalo. Welche Stadt es wird, ist für Rossi sekundär. "Die Mannschaft muss passen." Anfang Dezember soll die neue Saison beginnen.

Ziel: Immer gewinnen

Seine Karriere ist bis dato sehr geradlinig verlaufen, ganz genau so, wie Marco sich das vorgestellt hat. Von Zürich respektive Rankweil übersiedelte er 2018 nach Kanada, zu den Ottawa 67’s in die Ontario Hockey League (OHL). Dem Vater wäre es lieber gewesen, wäre Marco noch ein Jahr länger daheim und in der Schweiz geblieben, doch Marco wollte weg, hinüber, wollte ins Mutterland des Eishockeysports. In Ottawa schlug er praktisch auf Anhieb ein, und in seiner zweiten, in der vergangenen Saison, ragte er als Scorer und Teamleader heraus. Nach dem Coronavirus-bedingten Abbruch wurde er mit Auszeichnungen nur so überhäuft.

"Ich will immer gewinnen", sagt er, "egal ob im Eishockey, im Fußball, im Tennis oder im Schach. Das ist meine Mentalität. Ich hasse es zu verlieren." Und wenn er einmal verliert, dann will er erst recht etwas herausziehen. "Aus Niederlagen kann man extrem viel lernen, mehr als aus Siegen", sagt Rossi. "Aber hassen tu ich sie trotzdem."

Freilich haben Niederlagen Seltenheitswert, Marco Rossis Teams pflegen zu gewinnen. Das liegt auch und vor allem am jungen Vorarlberger. Sein großes Vorbild ist nicht etwa ein aktueller NHL-Star, sondern ein ehemaliger, Pawel Dazjuk. Der mittlerweile 42-jährige und in seine Heimat zurückgekehrte Russe gewann mit den Detroit Red Wings zweimal den Stanley Cup (2002, 2008), er war 2012 Weltmeister und 2018 Olympiasieger, gehört also dem "Triple Gold Club" an.

"Rossi: Aus Niederlagen kann man extrem viel lernen, mehr als aus Siegen. Aber hassen tu ich sie trotzdem."
Foto: Heribert Corn

Der 1,77 Meter große und 83 Kilogramm schwere Rossi erinnert in seiner für einen Center fast schon auffällig unauffälligen Erscheinung durchaus an Dazjuk – und in seiner Spielweise. "Viele Superstars sind nur offensiv wirklich gut", sagt er. "Aber Dazjuk war in allen drei Dritteln super, offensiv wie defensiv. Das ist extrem schwierig."

Ziel: Mitspieler fördern

Solche Typen wollen nicht nur sich, sondern auch ihre Mitspieler zum Glänzen bringen. Rossi: "Ich will jeden, der mit mir in einer Linie spielt, stärker machen. Ich verlange extrem viel von meinen Mitspielern, bin extrem hart zu ihnen. Aber wenn der Fokus da ist, haben alle etwas davon."

Demnächst checkt Rossi wieder bei seinem Ex-Verein in Zürich ein, er wird nur mittrainieren, keine Matches bestreiten, das Verletzungsrisiko wäre zu groß. Im Leithana hat er sich drei Wochen lang geschunden – in oft drei Trainingseinheiten am Tag unter Anleitung mehrerer Coaches wie Max Cavada (Fitness) und Rob Schremp (Schusstechnik). Auch der Herr Papa war oft da, er ist nicht zuletzt stolz darauf, dass Marco von der Liechtensteiner Agentur Sporteo vermarktet wird und in Moser Medical den ersten Privatsponsor gefunden hat.

Der Jungstürmer selbst redet lieber über Fortschritte, die er gemacht hat: "Kraft, Speed, Balance, Rumpf – ich hab mich in der Pause in vielen Bereichen enorm verbessert." Das schöne Parkbad, das in Bruck an der Leitha neben dem Leithana liegt, hat Marco Rossi nicht ein einziges Mal besucht. Dafür hatte er "keine Zeit", wohl wissend, dass Julihitze und Bad auch nicht schlecht zusammenpassen würden. (Fritz Neumann, 27.7.2020)