Das Erstaunen dürfte groß gewesen sein – und zwar auf allen Seiten. Am Dienstag, dem 14. Juli, gegen Mittag eröffnete Martin Pucher, damals noch Chef der Mattersburger Commerzialbank, seinem Vorstandskollegen Walter H., dass die Bank geschlossen werden muss – und zwar für länger, wenn nicht für immer. Seit Wochen waren ja im Auftrag der FMA die Prüfer der Nationalbank (OeNB) im Haus, grobe Malversationen waren aufgetaucht. H. dürfte ob der Mitteilung aus allen Wolken gefallen sein, von Unregelmäßigkeiten habe er nie etwas bemerkt, sagte er, als ihn zwei Ermittler des Landeskriminalamts Burgenland am 15. Juli gegen 18 Uhr einvernommen haben. Seinen Vorstandsjob hat H. nach 25 Jahren in der Bank (zuständig für Spareinlagen und Compliance) 2019 angetreten, auf Ersuchen von Pucher und Vorstandskollegin K., wie er erklärte.

Bilanz auftoupiert

Tags zuvor hatte Pucher dem Leiter der Prüfung, die (mit Corona-Pause) seit 2. März lief und bei der Unregelmäßigkeiten bei Kreditzinsen und Salden aufgefallen waren, gestanden, dass "bestimmte Zinszahlungen real nicht stattgefunden hätten und es sich auch bei anderen großen Teilen des Aktivbestandes (Krediten; Anm.) um fingierte (…) Aktiva handeln würde", hielt die FMA in ihrer Sachverhaltsdarstellung an die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) vom 15. Juli fest.

Die Bilanz war nicht nur frisiert, sondern ein paar dünne Härchen waren kräftigst auftoupiert: Ein Drittel bis zur Hälfte der Bilanzsumme (rund 800 Mio. Euro; Anm.) seien fingiert, so Pucher.

Entsetzen und Erstaunen herrschen nicht nur in der Bank, sondern auch bei vermeintlichen Kreditkunden.
Foto: APA/Jäger

Viel mehr als sein Entsetzen konnte Vorstandsmitglied H. nicht beisteuern. Vorständin K. habe "größtenteils die betreffenden Kredit- und Einlagengeschäfte organisatorisch und technisch umgesetzt und offenbar sonst niemandem in der Bank Einblick gewährt", heißt es in einem ersten Bericht des Landeskriminalamts. Der von der FMA noch am 14. Juli eingesetzte Regierungskommissär habe im Kreditgeschäft "unübliche Konditionen und unlogische Zahlungsströme" festgestellt, zudem bestünden "massive Zweifel" an der Existenz der "extrem hohen" Einlagen der Commerzialbank bei elf anderen Banken: 427 Millionen Euro hat sie laut Bilanz veranlagt. Wirtschaftsprüfer TPA habe "offenbar nie Bestätigungsschreiben von den betroffenen Banken eingeholt".

Richtlinien nicht eingehalten

Das müsste der Wirtschaftsprüfer, der die Bilanzen der Commerzialbank seit dem Jahr 2006 ohne Unterbrechung prüft, gemäß den seit 2004 geltenden Richtlinien zur Einholung von Bankbestätigungen aber tun. Demnach müssen die Auskünfte "direkt an den Abschlussprüfer übermittelt" werden, bei Zweifel an der Zuverlässigkeit der externen Bestätigungen "hat der Abschlussprüfer die Authenzität der Antworten zu prüfen", heißt es in dem Regelwerk für die Abschlussprüfer.

Das alles ist offenbar nicht geschehen. Die Banker haben die Saldenbestätigungen zu den "Guthaben" laut ihrer Darstellung auf Briefpapier der jeweiligen Bank selbst erfunden und/oder von Orten in der Nähe des jeweiligen Instituts an den Abschlussprüfer geschickt – zwecks passenden Poststempels. Allein bei einer Linzer und einer Tiroler Bank fanden die Prüfer 128 Mio. Euro an fingierten Guthaben, womit das Eigenkapital der Commerzialbank (rund 60 Mio. Euro) aufgezehrt war.

So frisiert man Bilanzen: Die Bilanzsumme der Commerzialbank betrug zuletzt rund 800 Millionen Euro. 427 Millionen davon entfielen auf Guthaben der bei anderen Instituten – der Großteil davon ist Luft.
Foto: Illustration: Standard / Eva Schuster

Managerin K. haben die wie eine Lawine immer größer werdenden Malversationen und deren Geheimhaltung zeitlich so in Anspruch genommen, dass sie beinah rund um die Uhr beschäftigt war und jahrelang fast keinen Urlaub nahm. Vorstandschef Pucher, der die Verantwortung für das Debakel übernommen hat, hat seinen PC so gut wie nie aufgedreht, im Internet fand man die Bank nicht: Sie hatte keine Homepage. Im Vorstandssekretariat in Mattersburg saß eine der drei Töchter des Bankchefs.

Entsetzen und Erstaunen herrschen ob der sich überschlagenden Ereignisse aber nicht nur in der Bank, sondern auch bei fünf (vermeintlichen) Kreditkunden. Kriminalisten machten sich noch am 15. Juli spätnachmittags Richtung Wien und Niederösterreich auf, um diese nach ihren Krediten bei der Mattersburger Bank zu befragen. Freilich hatte keiner von ihnen eine Geschäftsbeziehung zu selbiger, die meisten kannten sie nicht einmal, ebenso wenig wie Herrn Pucher oder Frau K. Viele Ärzte sind unter diesen Kunden, die keine Kunden sind, nur eine Befragte gab an, sie stamme wie Pucher aus Mattersburg, habe aber seit 50 Jahren keinen Kontakt mehr zu ihm gehabt.

Whistleblower kennt Details

Und wie kamen die Ermittler auf die Fake-Kunden? Basis der Prüfungen ist die detailgenaue, 29-seitige anonyme Anzeige eines Whistleblowers, die im Februar bei OeNB, FMA und WKStA einlangte. Darin sind 42 Kreditkunden samt Kontodaten und (auffälligen) Konditionen aufgezählt. Allein ein Gynäkologe mit Großpraxis in Wien soll 1,5 Mio. Euro Schulden haben, blanko. Oft haben Ehefrau und Ehemann je einen Kredit und haften jeweils für den anderen.

In der anonymen Anzeige, die sich wie ein Wirtschaftskrimi liest und deren Verfasser ("Wir handeln aus rein moralischen Beweggründen") Fotos von Akten mitgeschickt haben, wird der Verdacht erhoben, da seien "künstlich Kreditgeschäfte eröffnet" worden, alle der genannten Kunden seien "vorstandsbetreut": Außer Pucher und K. habe kein anderer Mitarbeiter volle Kontoeinsicht gehabt und die Zahlungsströme gekannt.

Weitere Auffälligkeiten der Kreditdeals: Die "wesentlichen Kunden" haben alle außerhalb des Aktivitätsradius der Regionalbank ihren Wohnsitz. Die meisten Kredite – teilweise in Millionenhöhe – wurden bar ausgezahlt. Die Kunden zahlten die hohen Raten per Erlagschein ein. Die Commerzialbank war nicht ihre Hausbank, die Zinsen waren hoch. Wie das Alter der Kunden: Viele sind weit über 70.

Die WKStA geht dem Verdacht nach, dass Sponsorgelder für den Fußballverein SV Mattersburg, dessen Präsident Pucher war, von der Bank finanziert wurden.
Foto: APA/Jäger

Freilich sollen auch Einlagen gefakt sein, vor allem von Wohnbaugesellschaften. Zudem geht die WKStA dem Verdacht nach, dass Sponsorgelder für den Fußballverein SV Mattersburg, dessen Präsident Pucher war, von der Bank finanziert wurden. Etliche in der Anzeige namentlich genannte Sponsoren hätten Kreditlinien eingeräumt bekommen, die sie laut Unterlagen nicht oder bald nicht mehr zahlen können. Vermutlich sei daran gedacht, das Geld bei Nichteinbringlichkeit aus den Vorsorgen der Bank zu zahlen, so der Whistleblower.

Einige dieser Vorwürfe haben sich bei der Vor-Ort-Prüfung und den Ermittlungen nun eben schon als zutreffend erwiesen. Die zwei beschuldigten Exvorstandsmitglieder sollen kooperativ sein, bereichert hätten sie sich nicht. Pucher hat gestanden, es gilt die Unschuldsvermutung. Die WKStA prüft den Verdacht auf Untreue, Bilanzfälschung, Krida, die Rolle des Wirtschaftsprüfers TPA werde noch zu prüfen sein, wie es heißt. TPA fühlt sich getäuscht und sieht sich als Opfer.

Justiz legte Anzeigen zurück

All das konnte geschehen, obwohl es schon (mindestens) zwei Anzeigen gegeben hat. Die FMA hält in ihrer ergänzenden Sachverhaltsdarstellung vom 17. Juli fest, dass sie im Dezember 2015 wegen Verdachts auf Untreue Strafanzeige erstattet hatte, es ging um Partizipationskapital. Wie berichtet hat die Staatsanwaltschaft Eisenstadt mangels Anfangsverdachts nicht ermittelt.

Außerdem ging man 2015 schon einmal Informationen eines Whistleblowers wegen Untreueverdachts gegen Pucher und K. nach. In der folgenden Vor-Ort-Prüfung der OeNB ließen sich diese Vorwürfe aber nicht bestätigen, so die FMA. Die WKStA leitete mangels Anfangsverdacht kein Verfahren ein.

Nun prüft ein Gutachter alle Zahlungsflüsse. Er wird auch auf Pucher und K. stoßen, beide haben etliche Konten, nicht alle bei der Commerzialbank. Diese wurden bereits beschlagnahmt. (Renate Graber, 27.7.2020)