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Äußerte sich besorgt über die Pressefreiheit in Ungarn: Vera Jourova, Vizepräsidentin der EU-Kommission.

Foto: AP/Stephanie Lecocq

Budapest/Brüssel – Die EU-Kommission hat sich gegenüber Kritik verteidigt, dass sie eine vor vier Jahren eingebrachte Beschwerde zur Medienkonzentration in Ungarn noch immer nicht abgeschlossen hat. "Beschwerden können manchmal ein komplexer Prozess sein", sagte eine Sprecherin der Behörde am Montag in Brüssel.

So müssten zusätzliche Informationen eingeholt werden. Die Beschwerde laufe seit 2016, und es gebe noch keine Schlussfolgerungen, sagte die Sprecherin.

Der frühere grüne ungarische Europaabgeordnete Benedek Javor hatte vor vier Jahren bei der EU-Kommission Beschwerde eingelegt gegen die Konzentration beim Besitz an ungarischen Medien und gegen staatliche Beihilfen für die Rundfunkanstalt MTVA, die neben der öffentlich-rechtlichen Duna Media Corporation besteht. Trotz fast ausschließlicher Finanzierung durch den Staat entzieht sich MTVA aber im Gegensatz zu Duna Media allen Regeln der überparteilichen Kontrolle für öffentlich-rechtliche Medien. 2018 wurden zudem Hunderte kommerzielle Medien in die damals neu gegründete regierungsnahe ungarische Stiftung KESMA eingegliedert.

Sorge um Medienpluralismus in Ungarn

Vor dem Hintergrund der jüngsten Demonstrationen und Proteste für Pressefreiheit und Solidarität mit der regierungskritischen Nachrichten-Website Index.hu in Ungarn betonte die EU-Kommission, sie teile "einige Besorgnisse" zu Medienpluralismus in Ungarn. Eine Sprecherin verwies auf jüngste Aussagen der Vizepräsidentin der EU-Kommission, Vera Jourova. Sie hatte sich Anfang Juli besorgt über die Pressefreiheit in Ungarn geäußert. Dabei sprach Jourova besonders den Fall von Index.hu an, eines der letzten unabhängigen Presseportale in Ungarn.

Am Mittwoch war der Index.hu-Chefredakteur, Szabolcs Dull, entlassen worden. Diesem wurde seitens des Kuratoriumsvorsitzenden der "Index"-Eigentümerin MFA, László Bodolai, Unfähigkeit vorgeworfen. Die Entlassung von Dull setzte umgehend eine Welle von Kündigungen durch die Mitarbeiter des Portals in Gang. Am Freitag initiierte nahezu die gesamte, 90-köpfige Redaktion von Index.hu die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses. Am Freitagabend gingen in Budapest tausende Menschen aus Solidarität mit "Index" auf die Straße.

Index.hu ist die am meisten besuchte Nachrichten-Website in Ungarn und eine der letzten unabhängigen Stimmen in der ungarischen Medienlandschaft. Seit 2010 hatte Regierungschef Viktor Orban mithilfe ihm nahestehender Geschäftsmänner einen Großteil aller Medien unter die direkte Kontrolle der Regierung gebracht. In der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen (RSF) steht Ungarn nur noch auf Platz 89 von 180.

Neuer Rechtsstaatlichkeits-Mechanismus

Medienpluralismus in Ungarn sei "wichtig" und "eine Priorität" für die EU-Kommission, sagte eine Kommissionssprecherin. Ein anderer Sprecher der EU-Behörde ergänzte, die EU-Kommission arbeite an einem neuen Rechtsstaatlichkeits-Mechanismus, der auch die Bereiche Medienfreiheit und Pluralismus abdecken werde. Noch heute werde es dazu einen Aktionsplan der EU-Kommission geben.

In Hinblick auf den beim EU-Gipfel beschlossenen Rechtstaatlichkeits-Mechanismus für Zahlungen aus dem Corona-Aufbaufonds gebe es noch keine Entscheidung der EU-Kommission. Diese sei froh über den Text des EU-Gipfels und arbeite nunmehr weiter an der Umsetzung der vereinbarten Regeln, sagte ein Kommissionssprecherin.

Die beim EU-Gipfel vergangene Woche beschlossene Kompromissformel zum Thema ist sehr vage. In ihr heißt es, dass eine "Konditionalitätsregelung zum Schutz des Budgets" eingeführt werde und dass die EU-Kommission im Fall von Verstößen gegen die Achtung der Rechtsstaatlichkeit Maßnahmen vorschlagen werde. Diese könnten dann vom Ministerrat mit qualifizierter Mehrheit angenommen werden. (APA, 27.7.2020)