Manfred Kielnhofers "Wächter der Zeit" hocken temporär auf dem Hauptplatz in Steyr. Ihr Ankauf zum Materialpreis von rund 3500 Euro polarisiert.

Foto: Manfred Kielnhofer

Steyr gehört vermutlich nicht zu den Städten, die man spontan für eine Debatte um Kunst im öffentlichen Raum auf dem Radar gehabt hätte. Seit vergangener Woche ist das anders. Stein des Anstoßes sind keine historischen Denkmäler, sondern drei für die Stadt angekaufte "Wächter der Zeit" des Mühlviertlers Manfred Kielnhofer: Seit Mitte Juli verleihen seine mit Goldfarbe bemalten, mehr als zwei Meter hohen Polyesterfiguren dem Hauptplatz einen gewissen Bling-Bling-Faktor. Kann man mögen, ignorieren oder verteufeln.

Das sei "Sondermüll", verschaffte Beate Seckauer ihrer Empörung Luft. Die Keramikkünstlerin und Geschäftsführerin von Neuzeughammer Keramik ist ehrenamtlich als Obfrau des Stadtkulturbeirats tätig, der sich übergangen fühlt. Nicht zum ersten Mal, betonte sie, womit sich durchaus die Sinnfrage eines Beratungsgremiums für den Kulturstadtrat stelle. Denn der amtierende Gunter Mayrhofer (ÖVP) hatte den Ankauf im Alleingang entschieden, wie er in einem Interview mit den Oberösterreichischen Nachrichten auch unumwunden bestätigt.

Der Beirat habe gemäß Statut die Aufgabe, "die Stadt bei der generellen Ausrichtung ihrer Kulturpolitik zu unterstützen", nicht aber Expertisen für Einzelankäufe abzugeben, erläutert Mayrhofer. Bis zu einem Budgetrahmen von 3000 Euro jährlich habe er außerdem freie Hand.

Ein legitimes Schnäppchen?

Der Kaufpreis für dieses großformatige Modell aus Kunststoff liegt regulär in einer Größenordnung von etwa 10.000 Euro pro Stück. Steyr wurde das Trio dagegen zum Materialpreis von insgesamt rund 3500 Euro überlassen. Die Überschreitung von 500 Euro sei laut Mayerhofer nach entsprechender Rückfrage vom Bürgermeister Gerald Hackl (SPÖ) gutgeheißen worden. Ein legitimes Schnäppchen also.

Der Ärger des Stadtkulturbeirats entzündete sich freilich nicht nur am Kaufpreis oder mangelnder Transparenz, sondern auch an der Wahl selbst. Denn es gebe in Steyr eine "Vielzahl an international bedeutenden Künstlern", die nicht unterstützt würden, argumentiert Galeristin Frieda Polhammer, die aus Protest aus dem Gremium austrat: Michael Kienzer, Siegfried Anzinger oder Andreas Schönangerer, zitierte sie beispielhaft aus ihrem Galerienprogramm. Über den künstlerischen Wert der "undurchsichtig" angekauften Werke werde sie sich dagegen nicht äußern, giftete sie Richtung Kielnhofer.

Tatsächlich polarisieren seine "Guardians of Time" seit sie der Autodidakt 2006 in Umlauf zu bringen begann. Zuerst als Originale, für die er Decken über Personen stülpte, Falten arrangierte, Gips auftrug und das ganze nach kurzer Trocknung mit Harz bestrich. Später ging er zu Abgüssen aus Kunststoff oder Bronze über, die er mittlerweile via Amazon oder seinem Netzwerk an Galeristen in verschiedenen Größen, Materialien und Auflagen vertreibt. Und das Geschäft läuft. Die einen fühlen sich bei dem Modell an den "Imperator" aus "Star Wars" erinnert, andere sehen einen meditierenden Mönch.

Kitsch- und Plagiatsverdacht

In der Kunstszene stehen die Wächter zeitgleich seit Jahren sowohl unter Kitsch- als auch unter Plagiatsverdacht. Ersterer unterliegt einer subjektiven Bewertung, für Letzteres gibt es Beispiele. Etwa Anna Chromys "Mantel des Gewissens", den die in Salzburg lebende Künstlerin erstmals in den 1990er-Jahren schuf. Seit 1998 schmückt eine Bronzevariante etwa eine Nische des Doms am Kapitelplatz.

Seit 1998 ziert Anna Chromys Skulptur "Mantel des Gewissens" die Nische des Doms auf dem Salzburger Kapitelplatz. Formale Ähnlichkeiten zu seinen Skulpturen stellt Kielnhofer nicht in Abrede.
Foto: Anna Chromy

Eine formale Verwandtschaft, vor allem zu Kielnhofers auf einer Kante sitzendem "Wächter"-Modell, ist unbestreitbar, wenngleich sich die künstlerische Ausarbeitung deutlich unterscheidet.

Vor einigen Jahren, schildert Chromys Ehemann und Manager Wolfgang Stein, habe man auch einen Rechtsanwalt kontaktiert: Das Copyright in Österreich sei "zu schwach", um Kielnhofers Epigonentum zu stoppen, bekam man zu hören. Dass die beiden einander in einem Marmorstudio in Italien rund um das Jahr 2007 begegneten, sei erwähnt. Kielnhofer streitet Ähnlichkeiten gar nicht ab. Es gebe mehrere Künstler, die solche "gesichtslosen Skulpturen" schufen. So habe ihn eher der belgisch-polnische Künstler Charles Albert Szukalski inspiriert. Die Bilder von dessen Installation "Das letzte Abendmahl" in der Wüste von Nevada im Jahr 1984 sind bis heute im Web abrufbar.

"Steyr ist auch richtig geil!"

Die Nachfahren hocken nun im Schneidersitz in Steyr. Der Chromeffekt der Lackierung spiegelt für die nächsten Wochen die historische Architektur des Hauptplatzes, bis die Skulpturen im Herbst in andere Stadtteile transportiert werden. Wie es zu diesem Deal überhaupt gekommen sei? Seine Galeristin Angelika Gall-Riedler habe die "Wächter" für die nächstes Jahr anberaumte Landesausstellung ("Arbeit. Wohlstand. Macht.") vorgeschlagen, erzählt Kielnhofer im STANDARD-Gespräch.

Ihm war besonders an einer Aufstellung auf dem Hauptplatz gelegen, der jedoch für 2021 ausgebucht sei – aufgrund zahlreicher Veranstaltungen, bei denen die Polyesterfiguren im Weg gestanden wären. Alternativ bescherte ihm die Corona-Krise jetzt also eine einmalige Option: "Steyr ist auch richtig geil!", erklärt der 53-Jährige enthusiastisch.

Und wer ihn und seine "Piratenaktionen" kennt, bei denen er seine Skulpturen ungefragt bei der Documenta in Kassel oder der Biennale in Venedig einschleuste, weiß auch: In der Ökonomie der Aufmerksamkeit hat ihm die Empörung rund um den Ankauf sehr viel mehr genutzt als geschadet. (Olga Kronsteiner, 27.7.2020)