Ein Großteil der Medikamente kommt inzwischen aus Asien. Nun will man Produktionen in Europa halten.

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Ausbau statt Abzug: Lange Zeit sah es nach Schließung der Penicillin-Erzeugung im Tiroler Kundl aus. Sandoz wollte die Wirkstoffe in Asien zukaufen. Eine Pandemie später und um einige bittere Erfahrungen beim Bereitstellen gesundheitskritischer Erzeugnisse reicher, sieht es nun anders aus.

Der Schweizer Konzern Novartis, der das Werk Kundl über seine Tochter Sandoz betreibt, bleibt mit der integrierten Produktion von Penicillin nicht nur im Unterinntal; die Anlagen werden in den kommenden fünf Jahren auch modernisiert und ausgebaut. Kostenpunkt: 150 Millionen Euro. Davon entfallen 50 Millionen Euro auf Förderungen.

Intensive Gespräche

Dem vorausgegangen sind intensive Gespräche zwischen der Geschäftsleitung in Kundl und Zürich auf der einen, Land Tirol und Bundesregierung, namentlich Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (VP), auf der anderen Seite. "Es war Zeit zum Handeln", sagte selbige bei der Vorstellung der Standortsicherungsmaßnahmen am Montag.

Schramböck, die selbst aus Tirol stammt und laut Eigenangaben "vor einem Jahr, als ich im Wahlkampf und noch nicht Ministerin war", Tuchfühlung mit Sandoz über die Sicherung der Penicillin-Produktion in Tirol aufgenommen hat, verwies auf die durch Corona erfolgte Läuterung. Insbesondere gesundheitskritische Produkte, von Schutzkleidung über Masken bis zu Arzneien, müssten wieder nach Europa zurückgeholt bzw. hier aufgebaut werden. Der Engpass bei diversen strategisch wichtigen Produkten zu Beginn der Corona-Pandemie habe dies dramatisch vor Augen geführt. Dass in Krisen andere Regeln gelten und auf Lieferketten nicht immer Verlass ist, habe nicht zuletzt der Exportstopp von Atemschutzmasken gezeigt, den Deutschland und Frankreich zeitweise verhängt haben.

Produktion seit 1947 in Kundl

Kundl ist nicht nur für Österreich von Bedeutung; das Werk im Unterinntal, das 1947 mit der Herstellung von Penicillin in einer aufgelassenen kleinen Brauerei begonnen hat, ist der einzig verbliebene Produktionsstandort von Penicillin in der westlichen Welt inklusive USA. Etwa 80 Prozent der global benötigten Antibiotika-Wirkstoffe werden inzwischen in China und Indien erzeugt.

Die Verlagerung nach Asien ging zunächst schleichend und dann immer rascher vor sich. Sie ist dem steigenden Kostendruck geschuldet. Die Arzneimittelproduktion kostet dort einen Bruchteil dessen, was in Europa an Kosten anfällt.

Kostendruck

Novartis-Österreich-Chef Michael Kocher hat in einem STANDARD-Gespräch im Mai die Wertigkeit folgendermaßen auf den Punkt gebracht: "Ein Kilogramm Penicillin kostet am Weltmarkt 20 Dollar, das ist weniger als für Kaugummi."

Kocher und Christian Pawlu, Strategiechef des Generika-Riesen Sandoz, zeigten sich denn auch über das Ergebnis der Gespräche mit der Politik sehr zufrieden. Nun sei freilich noch nötig, dass Europäer in Europa einkaufen und nicht automatisch der niedrigste Preis zähle.

Kapazität für ganz Europa

Mit den runderneuerten Anlagen in Kundl werde man jedenfalls die Kapazität haben, um von Tirol aus ganz Europa mit den nötigen Antibiotika zu versorgen. Sandoz-Manager Pawlu sprach von "einigen Tausend Tonnen", die jedes Jahr in Europa verschrieben werden.

Von den 50 Millionen an zugesicherten Förderungen für Kundl entfallen laut Schramböck 25 Millionen auf den Bund. Dieser verteilt das Geld über ein breites Instrumentarium wie Forschungsförderung, Investitionsprämie und andere. Fünf Millionen Euro lässt das Land Tirol springen. Die restlichen 20 Millionen Euro sollen aus dem EU-Rahmenprogramm IPCEI (Important Projects of Common European Interest) kommen.

Europäische Mittel

Das 2014 aufgelegte Programm erlaubt staatliche Zuschüsse für wichtige Projekte von gesamteuropäischem Interesse. Mit ihrem deutschen Amtskollegen Peter Altmaier habe sie diesbezüglich bereits gesprochen, er habe ihr Unterstützung zugesagt, sagte Wirtschaftsministerin Schramböck. Das ist insofern relevant, als Deutschland bis Jahresende die EU-Ratspräsidentschaft innehat und neben Mikroelektronik und Batterienproduktion auch die Arzneimittelherstellung rasch in die IPCEI-Liste aufnehmen könnte.

Novartis beschäftigt an vier Standorten in Österreich knapp 5200 Mitarbeiter, den Großteil davon in Tirol. Seit 2006 hat das Unternehmen an die 2,5 Milliarden Euro in Österreich investiert. Neben Penicillin werden in Kundl und im Nachbarort Schaftenau Biologika hergestellt – Medikamente, die bei Rheuma und Diabetes, aber auch bei Krebs zum Einsatz kommen. (Günther Strobl, 28.7.2020)