Menschenaffen wie diese Bonobos haben große Hirne und können daher sehr geschickte Fingerfertigkeiten erlernen.

Foto: Zoologisch-Botanischer Garten Wilhelma, Stuttgart

Zwischen geschickten Händen und einem großen Gehirn gibt es offensichtlich einen engen Zusammenhang, darauf weist allein schon die Tatsache hin, dass außer dem Menschen keine andere Spezies seine Vorderextremitäten so universell einsetzen kann. Auch bei zahlreichen Affenarten wird diese Verbindung sichtbar: Solche mit einem großen Gehirnvolumen beherrschen schwierigere Handgriffe als solche mit kleinen Hirnen. Doch das Erlernen feinmotorischer Fähigkeiten wie der Werkzeuggebrauch kann dauern: am meisten Zeit beansprucht es bei Menschen. Arten mit großem Hirn wie Menschen und Menschenaffen lernen zwar nicht langsamer als andere Primaten, beginnen aber erst später damit, wie Wissenschafter der Universität Zürich im Fachjournal "Science Advances" zeigen.

Menschen sind sehr geschickt mit den Händen, brauchen aber sehr lange, um verschiedene Fingerfertigkeiten zu erlernen. Erst im Alter von etwa fünf Monaten können Kinder erstmals gezielt greifen. Und bis sie schwierigere Handgriffe beherrschen – etwa mit Messer und Gabel zu essen oder die Schnürsenkel zu binden – dauert es nochmals rund fünf bis sechs Jahre. In diesem Alter haben viele Affenarten bereits ihren ersten Nachwuchs. Weshalb brauchen Menschen im Vergleich zu ihren nächsten Verwandten so viel länger, um feinmotorische Fähigkeiten auszubilden?

Fixe Entwicklungsmuster

Um diese Frage zu klären, hat Sandra Heldstab zusammen mit Karin Isler, Caroline Schuppli und Carel van Schaik vom Anthropologischen Institut der Universität Zürich während mehr als sieben Jahren 36 Affenarten beobachtet. Die Evolutionsbiologin studierte 128 Jungtiere in 13 europäischen Zoos von Geburt an bis zum Alter, in dem sie sämtliche Fingerfertigkeiten erwachsener Tiere erlernt hatten. Überraschend war, dass alle Affenarten ihre jeweiligen Fingerfertigkeiten in exakt derselben Reihenfolge erlernten. "Unsere Ergebnisse zeigen, dass die neuronale Entwicklung in extrem starren Mustern verläuft – auch bei unterschiedlichsten Affenarten", erklärt Heldstab.

Große Unterschiede fanden die Forscher jedoch bei den konkreten feinmotorischen Fähigkeiten, die die verschiedenen Affenarten als Erwachsene beherrschen. Affenarten mit großen Gehirnen wie Makaken, Gorillas oder Schimpansen können mit ihren Händen viel schwierigere Aufgaben lösen als solche mit kleinen Gehirnen wie Lemuren oder Krallenaffen. "Wir Menschen können nicht bloß zufällig so geschickt mit Händen und Werkzeugen umgehen, unser großes Hirn hat dies überhaupt erst ermöglicht. Ein kluges Köpfchen hat also auch ein geschicktes Händchen", sagt Heldstab.

Langer Lernprozess

Geschickte Hände haben jedoch ihren Preis: Bei Arten mit großen Gehirnen wie dem Menschen dauert es sehr lange, bis sie selbst einfachste Hand- und Fingerbewegungen erlernt haben. "Wir brauchen nicht nur länger, weil wir schwierigere Handgriffe erlernen als etwa Lemuren oder Krallenaffen, sondern vor allem weil wir erst viel später mit dem Erlernen dieser Fähigkeiten beginnen", sagt Heldstab. Die Wissenschafter vermuten, dass große Gehirne wie jenes des Menschen bei der Geburt noch weniger weit entwickelt sind.

Zudem ist Lernen kostspielig, da Fehler passieren können und Eltern viel Zeit und Energie investieren müssen, bis der Nachwuchs selbständig ist. "Unsere Studie zeigt einmal mehr, dass sich im Verlauf der Evolution nur bei Säugetierarten, die lange leben und genügend Zeit zum Lernen haben, ein großes Hirn und komplexe Fingerfertigkeiten inklusive Werkzeuggebrauch entwickeln konnten. Dies macht deutlich, warum so wenige Arten unserem Weg folgen und warum wir Menschen zum technologisch vollkommensten Organismus auf diesem Planeten werden konnten", folgert Sandra Heldstab. (red, 2.8.2020)