Abraham Lincoln, Gründervater der Republikaner, steht Pate für ein Projekt, das die Abwahl Donald Trumps aus konservativer Sicht argumentiert.

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Noble Zurückhaltung: Das ist es, wenn man es wohlwollend betrachtet, was bisher den Präsidentenwahlkampf des wahrscheinlichen demokratischen Kandidaten Joe Biden kennzeichnet. Er ist in der Öffentlichkeit kaum präsent. Noble Zurückhaltung ist es hingegen nicht, was man jenen Personen nachsagen kann, die sich ihm seit einigen Wochen als unerwartete Unterstützer andienen. Frühere hohe Funktionäre der Republikanischen Partei sind es, die sich als "Lincoln Project" zusammengetan haben, um Donald Trump aus republikanischer Perspektive zu bekämpfen. Sie leihen sich dafür den Namen des ehemaligen Präsidenten Abraham Lincoln, der einst in ihren Augen eine prinzipientreue Republikanische Partei aus der Taufe gehoben hat.

The Lincoln Project

Millionen US-Dollar haben sie in TV-Werbung investiert, fast jeden Tag gibt es einen neuen, technisch hochwertig produzierten Spot, in dem der Präsident ins Kreuzfeuer gerät. Es sind Werbekampagnen, die unter die Haut gehen – und deren Ziel es auch sein soll, zu irritieren. Donald Trump, dem in einem russischsprachigen Spot Nähe zu Wladimir Putin nachgesagt wird; ein Ex-Afghanistan-Veteran, der sehr unverblümt seine Meinung zum angeblichen russischen Kopfgeld auf US-Militärs kundtut.

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Eine spöttische Frauenstimme, die den Präsidenten wegen mickriger Besuchszahlen bei seiner Wahlveranstaltung in Tulsa vor einigen Wochen bemitleidet – und jüngst ein Video, in dem Trumps Nähe zu Ghislaine Maxwell beleuchtet wird, der mutmaßlichen Gehilfin des verstorbenen Serien-Kindesmissbrauch-Verdächtigen Jeffrey Epstein. Dazu immer wieder Spots, in denen Republikaner angegriffen werden, die Trump nicht kritisieren.

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Nur einer soll Publikum sein

Der Präsident ist böse, er vertritt die republikanischen Werte nicht: Das ist die Botschaft, die nach Jahren der Nibelungentreue die Republikanische Partei aufwirbeln soll – so viel jedenfalls ist klar. Nicht klar ist dagegen vieles andere. Zum Beispiel: Was ist ihr Ziel? Und vor allem: Wer sind die Urheber?

Dass es den Schöpfern der Kampagne darum geht, unentschlossene Wählerinnen und Wähler in umkämpften Swing-States zu überzeugen – dagegen spricht nämlich einiges. Allen voran die Tatsache, dass nur wenige der Spots dort überhaupt zu sehen sind, wie die Zeitschrift The Nation bereits vor einigen Wochen recherchiert hat: Ein Großteil ist deren Berichten nach ausschließlich in Washington, D.C., ausgestrahlt worden. Bestens sichtbar sind die Videos also vor allem für republikanische Entscheider im Kongress. Und für den derzeit wichtigsten von allen: für US-Präsident Trump selbst.

"Einige der Videos haben ein Zielpublikum von einer Person", gibt Rick Wilson, ein früherer republikanischer Berater, der nun Teil des Lincoln Project ist, auch freimütig zu verstehen. "Es geht um psychologische Kriegsführung gegen Trump. Diese Clips sind absolut dafür gedacht, seine Kampagne auf bedeutende Weise zu stören", sagte er jüngst in einem Podcast des NY Magazine. Den Abtritt des früheren Trump-Kampagnenmanagers Brad Parscale sieht er bereits als erstes Anzeichen von Erfolg.

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Aber auch der Präsident selbst hat bereits im Mai auf die Feinde in der eigenen Partei reagiert und sich dabei unwirscher Worte gegen den Mann seiner strategischen Beraterin Kellyanne Conway, George Conway, bedient. Denn auch dieser ist Teil des Lincoln Project. "Ich weiß nicht, was Kellyanne mit ihrem geistesgestörten Verlierer von einem Ehemann, dem Mondgesicht, gemacht hat, aber es muss wirklich schlimm gewesen sein", schrieb der Präsident.

Das Lincoln Project hatte zuvor die Parodie eines bekannten Ronald-Reagan-Werbespots produziert. Mourning in America, "Trauer in Amerika", heißt das Video, in dem Trump Versagen in der Corona-Krise vorgehalten wird. Morning in America hatte hingegen einst ein bekanntes Video Reagans geheißen, in dem dieser 1984 mit Bildern eines verheißungsvollen Neuanfangs um eine zweite Amtszeit warb.

Andre Morgado

Kritik gibt es an den Akteurinnen und Akteuren des Lincoln Project aber nicht nur aus der eigenen Partei. Auch progressive Demokraten sind skeptisch. Sie fürchten, dass Wilson, Conway und Co nach einer Wahl Joe Bidens zum Präsidenten Gefälligkeiten von ihnen verlangen würden. Sie könnten ihr "Projekt" fortführen – und die Kritik dann gegen progressive Ideen richten statt gegen Trump. Immerhin haben die Angesprochenen früher oft mit dreckigen Methoden gegen Demokraten gekämpft.

Demokratische Spenden

Doch nicht alle in der Partei sehen die politische Videoschmiede so kritisch. Im zweiten Quartal 2020 hat die Gruppe 23 Millionen US-Dollar an Spendengeldern erhalten – viele davon von demokratischen Organisationen und von Demokraten, denen die Wahlkampflinie Joe Bidens bisher zu zurückhaltend war.

An diese Geldsummen knüpft sich nun eine weitere Kritik. So teuer, heißt es, sei die Produktion der Werbespots und deren Platzierung nämlich nicht. Die Lincoln-Project-Leiter hätten demnach einiges Geld auch für sich selbst abgeschöpft. (Manuel Escher, 27.7.2020)