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Wählen in Corona-Zeiten sieht anders aus: In Florida und Arizona stimmten bei den Vorwahlen überdurchschnittlich viele Menschen früher ab, in Illinois gingen merklich weniger zur Wahl als bei den Vorwahlen 2016 (im Bild: Vorwahlen in Houston).

Foto: AP / Timothy D. Easley

Zu allen Unsicherheiten, die das Coronavirus mit sich brachte, zählt auch diese: Alle bisher existierenden politischen Playbooks, Anleitungen für einen möglichst erfolgreichen Wahlkampf also, können entsorgt werden. Besonders gut lässt sich das in den USA beobachten, wo weniger als 100 Tage vor der Präsidentenwahl Großveranstaltungen sowie die meisten bislang gängigen Formen analoger zwischenmenschlicher Interaktion in Zeiten von rekordverdächtigen Neuinfektionen tabu sind. Rallies und Parteitage wurden ebenso abgesagt wie Vorwahlen.

Selbst eine mögliche Verschiebung des Urnengangs im November steht im Raum, was in der Geschichte der Vereinigten Staaten erst ein einziges Mal passiert ist: Als Folge eines Taifuns fanden die Zwischenwahlen im Jahr 2018 auf dem US-Außengebiet der Nördlichen Marianen um eine Woche später statt.

Lockerungen wieder retour

Dass nun erstmals eine Präsidentenwahl so sichtbar von einer Seuche begleitet wird, hat nicht nur die Rahmenbedingungen verändert, sondern auch Inhalte und Tonalität der beiden Anwärter. Der um seine Wiederwahl bangende Amtsinhaber muss nicht nur eine, sondern gleich mehrere miteinander verwobene Krisen stemmen: Das Coronavirus wütet wieder unkontrollierbarer, viele Bundesstaaten mussten Lockerungen zurücknehmen, Intensivstationen geraten erneut an ihre Grenzen.

Sars-CoV-2 hat nicht nur schon so viele Menschen das Leben gekostet wie kein US-Krieg seit 1945, die Pandemie hat auch eine Schneise der Zerstörung in der Wirtschaft hinterlassen. 40 Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner sind arbeitslos, viele stehen ohne Krankenversicherung da. Die eigens beschlossenen Zuschüsse zum Arbeitslosengeld laufen aus, auch die temporären Räumungsstopps.

Maximale Mobilisierung der Basis

Die noch vor Ausbruch der Pandemie glänzenden wirtschaftlichen Daten hätten Donald Trump seiner Rechnung zufolge eigentlich den Sieg bringen sollen. Nun sind einer Umfrage des Pew-Meinungsforschungsinstituts zufolge fast neun von zehn Amerikanern unzufrieden mit dem Zustand in ihrem Land. 77 Prozent beschreiben sich als wütend, mehr als die Hälfte als angstvoll. Bekommt Washington die Virusausbreitung nicht unter Kontrolle, droht sich die ökonomische und soziale Lage noch weiter zu verschärfen.

Die ohnehin schon Ärmeren und damit überdurchschnittlich oft Angehörige einer Minderheit – meist Afroamerikaner und Latinos – sind schon jetzt überproportional betroffen. So haben sich die Proteste gegen die systemische Gewalt gegen Schwarze in den USA zu einer breiten Bürgerrechtsbewegung entwickelt, die weit in den Mainstream hinein große Unterstützung erfährt.

Neue Hassobjekte

Die Corona-Krise mit all ihren Facetten offenbart die Planlosigkeit eines Präsidenten, der noch nicht einmal klären konnte, ob er sich nun für oder gegen das Tragen von Masken ausspricht. In den Umfragen fiel Trump deutlich hinter Joe Biden zurück. Umso dringender muss er seine Basis motivieren. Mit Kulturkampfrhetorik und teils unverdecktem Rassismus heizt er Verlust- und Entmachtungsängste der weißen Bevölkerung an. Waren 2016 Mexikaner, Einwanderer und Muslime das Ziel seiner Attacken, wettert er nun gegen Schwarze, Liberale und Progressive.

Sein Herausforderer hingegen setzt alles daran, sich mit klaren Botschaften als Kontrastprogramm zum Präsidenten zu präsentieren: Biden forderte etwa die Ausweitung staatlicher Testkapazitäten und mehr Transparenz von der chinesischen Regierung – zu einem Zeitpunkt, als Trump das Virus noch klein- und die Lage in der Volksrepublik noch schönredete. Seine Leibthemen – Ausbau des Obamacare-Gesundheitssystems, Stärkung von Arbeiterrechten – haben schlagartig mehr Aktualität erfahren. Dass er kaum einen Fuß aus seinem zur Sendezentrale umfunktionierten Keller in Delaware setzt, sei durchaus auch von Vorteil, verrieten seine Mitarbeiter US-Medien: Zwar sei Biden gut im direkten Umgang mit Menschen. Durch die strikt durchgetakteten Auftritte aber erspare man sich die Aussetzer und peinlichen Pannen, zu denen Biden durchaus einen Hang hat. (Anna Giulia Fink, 28.7.2020)