Eintauchen in die Ästhetik des Fotografen Helmut Newton: strenge Schönheit vor schillernder Kulisse.

Foto: Polyfilm

Ein Krokodil, das gerade eine Ballerina verknuspert, ein Hendl, das alles zeigt, und natürlich Frauen, Frauen, Frauen. Das Lebenswerk des Fotografen Helmut Newton ist reich an ikonischen Bildern, deren Schöpfer einer der berühmtesten Belichtungskünstler des 20. Jahrhunderts. Passend zum 100. Geburtstag des 2004 bei einem Autounfall verstorbenen Weltenbürgers, bringt Gero von Boehm den Dokumentarfilm Helmut Newton: The Bad and the Beautiful ins Kino.

Ausgerechnet, möchte man sagen, erklärte doch Newton selbst Fotografen zum denkbar uninteressantesten Fokuspunkt eines Films. Gero von Boehm, der das Zitat keck an den Anfang seines Porträts stellt, hat aber noch eine weitere Hürde zu überwinden: Schon vor 50 Jahren wurden die überlebensgroßen Bilder nackter Frauen mitunter als sexistisch verurteilt (eine Talkshow-Konfrontation mit Susan Sontag fasst die Kritik zusammen), heute würde ihre Veröffentlichung Fäkalstürme aufziehen lassen, dass einem Boomer die Ohren nur so schlackern.

Polyfilm Verleih

Jetzt reden die Frauen

Aus der Dokumentation sollte aber keine Dekonstruktion werden, zumal von Boehm sich Newton auch freundschaftlich verbunden fühlt. Der deutsche Regisseur macht daher die Objekte zu den Subjekten und lässt – Krokodil und Poularde waren wohl zu maulfaul – ausnahmslos Frauen über den Starfotografen sprechen.

So sitzen Claudia Schiffer, Isabella Rossellini oder Marianne Faithfull vor der Kamera von Boehms, um, wie auch Newtons langjährige Ehefrau June, dem als Helmut Neustädter in Berlin Geborenen Rosen zu streuen. Die einzige männliche Stimme ist die von Helmut Newton selbst, montiert aus Bruchstücken eines 2002 gedrehten Porträts.

Die Annäherung an den Künstler erfolgt über das Werk, die Entstehung einzelner Aufnahmen. Die Arbeitsweise und der Stil des meisterhaften Arrangeurs martialischer Nackerpatzln werden reihum in Erinnerung gerufen. Grace Jones arbeitet dabei unermüdlich an ihrem Ruf als wildeste Henne, Anna Wintour gesteht, sich beim ersten gemeinsamen Termin aus Nervosität krankgemeldet zu haben. Der Anekdotenreigen könnte ewig so weitergehen oder nach fünf Minuten ruhig eine Abbiegung in substanziellere Gefilde nehmen, auch dies liegt im Auge des Betrachters.

Lehr-, Flucht- und Wanderjahre

Interessanter wird es, wenn im weiteren Verlauf des Films die Persönlichkeit Newtons stärker in den Vordergrund rückt, seine Lehr-, Flucht- und Wanderjahre sowie die Beziehung zu seiner Frau. Im Berlin der 1930er-Jahre begann er eine Fotografenlehre bei der bekannten Modefotografin Yva, die 1942 im Vernichtungslager Sobibor ermordet wurde. 1938 flüchtete er über Singapur nach Australien, wo er 1948 heiratete und 1956 bei der australischen Vogue eine Weltkarriere begann.

Seine Prägung durch die Weimarer Zeit und den Nationalsozialismus, seine kindliche Freude daran, ein "naughty boy" zu sein – immer, wenn ein wenig Licht auf das Innere des selbsternannten professionellen Voyeurs fällt, hat dieses filmische Denkmal seine am hellsten funkelnden Momente. (Dorian Waller, 28.7.2020)