Das lange Messer schleift der Chef in ein paar Sekunden zu perfekter Schärfe: "Das ist ganz einfach", sagt er, "das lernen Sie sofort, Sie müssen nur langsam, langsam, langsam anfangen, und dann werden Sie immer schneller." Den Daumen dabei nicht auf den Schärfer zu legen ist freilich auch ein guter Tipp, und überhaupt: das Messer immer am Griff halten und mit der Klinge nach unten ein weiterer. Wenn er den Lehrling im Keller mit dem Messer in Kopf- oder Halshöhe erwischt, dann gibt es einen Verweis – einen freundlichen natürlich. Denn verscherzen darf er es sich mit seinem Christoph nicht.

Der 18-Jährige, der unten an der Fleischbank gerade einen riesigen Markknochen zur Seite legt und sich dann zusammen mit Milenko, der seit bald 30 Jahren hier steht, mit einem superscharfen Messer über eine Flanke des Rindes hermacht, war ein seltenes Glück für Horst Stierschneider, denn ganz rosig ist die Situation für seine Branche nicht. Jedenfalls nicht im Vergleich zu den goldenen Zeiten: "Ab 1955", erzählt er, "haben sich die Leute mit Fleisch und Wurst eingedeckt, und das Beste war: Jeder konnte Fleischhauer werden, jeder! Wer also damals nicht ganz deppert war, der hat sich als Fleischhauer jedes Jahr ein Zinshaus gekauft!"

Horst Stierschneiders Fleischerei im 15. Bezirk ist berühmt für ihre Knacker.
Foto: Christian Fischer

Da waren’s dann noch zwölf

Der Zinshausboom der Fleischhauer in Wien erlitt einen ersten einen deutlichen Einbruch, als in den 70er-Jahren Karl Wlaschek anfing, Fleisch und Wurst auch in seinen Billigläden zu verkaufen (was ihm in der Folge das eine oder andere Innenstadtpalais einbrachte). Und ab dem EU-Beitritt ging es dann richtig bergab, "heute sind wir in Wien noch zwölf Fleischer, die so arbeiten wie wir, früher waren wir 2.400".

Früher, das war die Zeit, als sie zu Mittag 120 Wurstsemmeln verkauft haben, und früher, das waren auch die Jahre, als Horst Stierschneider seine Kindheit hier im elterlichen Fleisch- und Wurstladen in der Wiener Märzstraße verbrachte. Ein Traum? "Ja!" Mit den Freunden durch das Geschäft zu laufen, von dieser Wurst ein Radl und von jener gleich zwei zu stibitzen – herrlich! Trotzdem wurde er von seiner Mutter Inge, die mit ihren 78 Jahren noch immer rüstig hinter der Budl steht, zunächst ins anspruchsvolle Theresianum geschickt, bevor er sich dann doch für die Wurst und gegen Latein entschied.

Die Knacker seien zwar wirklich sehr gut, sagt der Chef – vor allem aber fehle es anderen Knackern an Qualität.
Foto: Christian Fischer

Ramponiertes Renommee

Vielleicht, weil er schon damals die Vorteile seines Berufes sah? "Wir hören am Freitag auf!", sagt er, als spräche er für ein Werbevideo der Kammer, "dann gibt es keine Anrufe oder E-Mails mehr, und eine Wurst mit nach Hause nehmen, um weiter an ihr zu arbeiten, das gibt es erst recht nicht!" Burnout gebe es bei Fleischern und Wurstern also keines, versichert Stierschneider. Es ist nur leider die Arbeit ein bisserl anstrengend, und das Renommee leidet mit jedem Corona-Ausbruch in einer Fleischfabrik und jedem Foto von geschundenen Schweinderln.

Dabei kommen seine Rindviecher von einem Fleischhauer in Niederösterreich, zu dem die Tiere zu Fuß gehen können, weil sie in unmittelbarer Nähe des Schlachthofs gehalten werden. Und die Schweinderln werden bei einem anderen Fleischhauer in einer Größenordnung von 700 Stück pro Woche geschlachtet, was auch beinahe familiären Charakter habe.

Wenn Stierschneider dann beides, die Rinder und die Schweine, durch den Wolf schickt und im richtigen Verhältnis mixt, wenn er dann noch die spezielle Gewürzmischung dazugibt, kommt zum Beispiel seine unfassbar beliebte Knacker heraus, die, je höher die Temperaturen steigen, umso stärker nachgefragt werde.

"Jesus schaffte es, über Wasser zu gehen. Wir Fleischhauer aber haben es geschafft, dass man Wasser essen kann!"

"Mei, eichane Knacker san so guad, wia mochts ihr des?", hört er dann oft von wurstbegeisterten Kunden, und dann muss er ehrlicherweise sagen: "Unsere Knacker sind zwar schon wirklich sehr gut, aber vor allem fehlt es den anderen Knackern an der nötigen Qualität!" Es gibt nämlich keine Vorschrift, wie die legendäre Beamtenforelle gewürzt werden muss, und das merke man dann halt am Geschmack. "Gewürzmischungen, wie wir sie in Zehn-Kilo-Kanistern von der Industrie beziehen, sind teuer, und so spart man halt schnell am Muskat oder am Pfeffer." In diesem Zusammenhang erzählt Stierschneider gern einen Witz: "Jesus schaffte es, über Wasser zu gehen. Wir Fleischhauer aber haben es geschafft, dass man Wasser essen kann!" 50 Prozent davon fänden sich heute in gewissen Fleisch- und Wurstsorten.

Seit dem Mittelalter lassen sich in Wien Würste als Teil der Mahlzeiten nachweisen, 1484 wurde in einem Tagebuch erstmals eine "Pratwurst" erwähnt, "Reiseschriftsteller" berichteten in der Folge immer wieder von Würsten und Orten, an denen man sie aß. Bekannt war die Teufelsmühle auf dem Wienerberg, an der die Landkutschen wegen der dort dargebotenen Blut- und Leberwürste hielten, und wenn von der Armut der Bevölkerung die Rede war, dann oft in Zusammenhang damit, dass sie "nur warme Wurst" zu essen hatten, freilich unterfüttert mit reichlich Bier, das lange Zeit als Lebensmittel galt.

Stierschneider produziert heute das klassische Sortiment (die Wiener, die Extra, die Polnische, die Frankfurter, die sehr begehrte Dürre …), gut gehütete Geheimnisse oder gar verwegene Rezepte gibt es dabei nicht. "Ich würde gerne sagen, dass es so wäre", lacht er, "aber Wurst zu machen ist im Grunde wie gutes Essen zuzubereiten, es müssen drei Komponenten stimmen: der Bauer, der das Vieh produziert, der Fleischer, der es aufbereitet, und der Koch, der die Speise herstellt", wobei ein schlechter Koch eben auch das beste Fleisch ruinieren könne.

Menüdschi mit zehn Deka

Genauso verhalte es sich eben auch mit den Würsten, die seine Mutter Inge zusammen mit Helga oben hinter der Budel verkauft. Gerade kommt "der Herr Nietzsche" herein, der wirklich so heißt und der sich jeden Tag das Menüdschi einpacken lässt mit zehn Deka Extrawurscht extra und noch ein paar Extras an Würsten dazu — und gerne auch "ein bisserl mehr". Das mit der klassischen "Bitte zehn Deka!"-Bestellung freilich habe jeder Wurstverkäufer nach drei verkauften Wurstsemmeln intus, sagt der Chef, "bei der einen Sorte sind es sieben Radln, bei der anderen halt acht." Dass auch bei ihnen mittlerweile immer öfter "möglichst dünn" nachgefragt wird, darüber hat sich schon der Filmemacher und bekennende Fleisch- und Wurstgenießer Peter Kubelka in einem Youtube-Clip lustig gemacht: Beim Meinl am Graben müssen die feinen Damen durch die Mortadella hindurchschauen können, sonst konveniert sie ihnen nicht mehr.

Aber auch hier im Arbeiterbezirk haben Inge und Helga schon alles gesehen, was sich so "Kunde" nennt: Der Herr Nietzsche, sagen sie beide, sei ein hervorragender Kunde, nicht nur, weil er brav einkauft, sondern vor allem, weil er weiß, was er will. Und das sei beim Kunden – wenn man ihn auf seine Umgänglichkeit hin taxiert – schon die halbe Miete. "Die eine vorhin", sagt Inge, "die im blauen Kleid", ergänzt Helga, "die hat den Hang zum Schwierigen gehabt", wissen beide, aber die hätten sie sich gewissermaßen "hergerichtet", sodass sie gerade noch vorm Schwierigsein abgebogen ist in Richtung pflegeleicht.

Horst Stierschneider produziert heute nur das klassische Sortiment.
Foto: Christian Fischer

Ein ganzes Buch könnten sie schreiben über die Schwierigen! Die Eine zum Beispiel, erzählt der Chef über die eine, die das G’sölchte bei ihm vakuumverpackt gekauft hat, es daheim zubereitete und am nächsten Tag voll des Lobes zu ihm kam. Mit der kleinen Einschränkung freilich, dass die "Schicht" am G’sölchten schon sehr komisch geschmeckt habe. Da es aber am Geselchten keine "Schicht" gibt, gingen sie der Sache auf den Grund, und es stellte sich heraus, dass die Dame es mitsamt der Plastikverpackung gekocht hatte, und das ist – versichert der Chef – kein Witz. Und wenn einer, sagt die Seniorchefin streng, die Verkäuferin sekkiert, dann gehe sie nach wie vor dazwischen, "weil benehmen muss man sich schon". Auch bei der Wurst.

Die Sekkanten könnte man zur Abkühlung in den Keller hinunterbringen, dort lagern bei bis zu minus 22 Grad die Schätze: die aufgehängten Fleischteile, die reifen, oder auch die "Speckwurst", die eine "ehrliche" Wurst sei, so der Chef, weil sie mit ihren Riesenfetttrümmern inmitten der Wurstmasse erst gar nicht so tut, als wäre sie irgendwie was für angehende Vegetarier.

Mit denen hat der Chef übrigens keine Probleme, versichert er. Wenn er heute Büffets zubereitet, dann werde mittlerweile immer "fünf Prozent Vegetarisches" verlangt. Nur mit den Veganern kann er nichts anfangen, weil die "eine Ideologie" aus ihrer Lebensweise machen. Er selbst ist mehr fürs Genießen. (Manfred Rebhandl, 28.7.2020)