Wie viel Geld man bei einem Erfolg erwarten kann, steht aber auf einem anderen Blatt, so Mobilitätsexpertin Lydia Ninz im Gastkommentar.

Die Karten im Poker um VW-Betrugsdiesel sind neu gemischt. Durch zwei jüngste Höchsturteile bekamen betrogene Käufer von VW, Audi, Seat und Škoda neue Trümpfe in die Hand. Überraschend: Jetzt können plötzlich auch alle Dieselkäufer in Österreich um Schadenersatz mitspielen, die bisher nichts gegen VW unternommen haben. Wer wie viel gewinnen kann, hängt von mehreren Faktoren ab.

Fast fünf Jahre nach Auffliegen des VW-Dieselskandals hat der Deutsche Bundesgerichtshof in einem Urteil deutliche Worte gefunden.
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Fast fünf Jahre nach Auffliegen des VW-Diesel-Skandals hat der Deutsche Bundesgerichtshof (BGH) kürzlich glasklar formuliert: VW hat seine Kunden arglistig geschädigt, in die Irre geführt – schlichtweg betrogen! Vorsätzlich! Jahrzehntelang! Aus reiner Profitgier! Den Kunden wurden zu überhöhten Preisen Autos mit illegalen Abschalteinrichtungen angedreht. Dafür steht ihnen Schadenersatz zu. Punkt. Der Urknall des Schadens ist beim Autokauf entstanden. Das spätere Software-Update konnte daran nichts ändern.

Kunden gewinnen

An diesem Urteil des Oberstgerichts orientieren sich alle untergeordneten deutschen Gerichte, und das bedeutet: Alle laufenden Prozesse gegen VW gewinnen ab jetzt die Kunden. Auch für die 1100 Kläger aus Österreich und Südtirol, die mithilfe des Verbraucherschutzvereins (VSV) vor deutsche Gerichte gezogen sind und noch ziehen werden, ist’s jetzt eine g’mahte Wiese. VW hat bereits angekündigt, alle anhängigen Verfahren in Deutschland – geschätzte 90.000 an der Zahl – mit raschen Vergleichen vom Tisch wischen zu wollen.

Der wohltuend deutliche Spruch des BGH strahlt auch auf Österreich aus. Kein heimischer Richter, keine heimische Richterin wird das Handeln des deutschen Autoherstellers anders oder gar milder beurteilen können als ihre Kollegen und Kolleginnen im Hersteller- und Zulassungsland. Neue Hoffnung schöpfen können die 10.000 Kläger, die sich den 16 Sammelklagen des Vereins für Konsumenteninformation (VKI) angeschlossen haben, plus ein paar Tausend VW-Käufer, die individuell geklagt haben. Auftrieb kommt vom Europäischen Gerichtshof, der kürzlich klipp und klar festgestellt hat, dass man den deutschen VW-Konzern auch in Ländern verklagen kann, in denen die Autos verkauft wurden. So auch in Österreich. Die einjährige Blockade der VKI-Sammelklage ist damit zu Ende, und man kann in den heimischen Gerichten jetzt endlich zur Sache kommen.

Schadenersatzhöhe schmilzt

Warum diese zwei Urteile ausgerechnet den österreichischen VW-Käufern überraschende Trumpfkarten in die Hände drücken, ist leicht erklärt: Bei einer vorsätzlichen arglistigen Irreführung verjähren die Ansprüche in Österreich erst nach 30 Jahren und nicht schon nach drei Jahren wie beim normalen Schadenersatz. Für VW-Klagen ist es also beileibe nicht zu spät. Schließlich wurden die VW-Dieselautos mit dem Betrugsmotor EA 189 vor fünf bis elf Jahren verkauft, zwischen 2009 und 2015. Das Potenzial ist beachtlich: Vorsichtig gerechnet könnten nun 350.000 österreichische Dieselbesitzer jederzeit loslegen. Mit guten Chancen, ihre Klagen zu gewinnen.

Wie viel Geld dabei herausschaut, steht auf einem anderen Blatt. Vom erstrittenen Schadenersatzgeld darf VW für die gefahrenen Kilometer ein Nutzungsentgelt abziehen. Mit jedem gefahrenen Kilometer schmilzt der Schadenersatz dahin, wie der Schnee bei steigenden Temperaturen. So lange, bis nichts mehr übrig bleibt. Es gilt: Je jünger und teurer das Auto, je weniger Kilometer am Tacho, desto mehr rentiert sich das Rennen um Schadenersatz. Je älter und günstiger die "Kraxn", je mehr gefahrene Kilometer am Buckel, desto weniger zahlt es sich aus.

Dicker Gewinnpolster

Ob VW so viele Schadenersatzansprüche aushalten wird? Keine Sorge. Schließlich hat der Konzern in den letzten zehn Jahren zusammengerechnet über 100 Milliarden Euro Gewinn ausgewiesen: 100.000.000.000 Euro. Der dicke Gewinnpolster kam auch dadurch zustande, dass sich dieser Konzern ehrliche Investitionen in saubere Dieselmotoren jahrzehntelang erspart und stattdessen Kunden und Behörden betrogen hat, auf Kosten von Gesundheit, Umwelt und der Käufer. Auch das ist ein starkes Motiv für betrogene Käufer, sich zu wehren (Lydia Ninz, 28.7.2020)