Gut, dass es Selbstauslöser gibt: Peter Ortner auf dem Gipfel eines namenlosen, 5.850 Meter hohen Berges in Nepal, den er nicht ganz ohne Komplikationen ("Bin ein paar Mal abgestürzt") solo bestieg.

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Manchmal kommt es ganz anders als geplant, mitunter aber passt alles perfekt. Musste Peter Ortner mit einem Kletterkunden zuletzt noch die imposante Torsäule wegen nassen Felsens links liegen lassen und stattdessen den frisch verschneiten Hochkönig besteigen, so klappte zwei Tage später die 45-Seillängen-Tour Pinzgawurm am Birnhorn in den Leoganger Steinbergen wie geschmiert.

Peter Ortner beim Training an einer Betonwand. (Foto: Wegerpixel)
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"Coole Zeit" mit David Lama

Die Bergführerei ist das mittlerweile nach dem Lockdown wieder annähernd normalisierte Geschäft des Osttirolers, dessen Abenteuer ihn auch mehrmals zum Cerro Torre nach Patagonien führten, wo er 2009 David Lama kennenlernte. "Wir haben richtig gut harmoniert, mit ihm hatte ich einen richtig starken Kletterpartner an meiner Seite. David war am Fels spitze und ich am Eis, und so haben wir uns perfekt ergänzt", erzählt der 36-Jährige aus dem Debanttal bei Lienz. Weil aber im Leben eben nicht immer alles optimal läuft, gelang den beiden die Besteigung über die legendäre Kompressorroute erst 2011, Anfang des folgenden Jahres dann erstmals überhaupt ohne technische Hilfsmittel, wofür sie bei den Piolets d'Or 2013 eine Spezialauszeichnung erhielten. "Das war schon eine coole Zeit", erinnert sich Ortner. "Wir sind die Wände angegangen wie zu Hause irgendeinen Klassiker. Wir waren mit wenig Respekt unterwegs, haben nicht überlegt, ob wir es können, sind einfach geklettert, ohne nachzudenken."

In den hohen Bergen

Die Zeit damals sei auch wegen der Weiterentwicklung "interessant" gewesen. "Wir haben versucht, unser Niveau in hohe Berge zu verlagern. Das ist uns ganz gut gelungen, wir haben alle Ziele umgesetzt." Es wurden Projekte wie Chogolisa (7.668 Meter) oder Trango Tower (6.286 Meter, über die Route Eternal Flame, IX+/X-) im Karakorum gemeistert. Von der Chogolisa, wo Hermann Buhl 1957 tödlich verunglückte, haben sie erstmals den Masherbrum (7.821 Meter) mit seiner imposanten, 3.500 Meter hohen Nordostwand erblickt. "Er hat uns angezogen." Zwei Versuche wurden gestartet, beide schlugen wegen ungeeigneter Bedingungen fehl. Beim zweiten Anlauf war neben Lama auch Hansjörg Auer mit von der Partie. "Wir mussten schon beim Einstieg umdrehen, weil die Wand so komplex und die Kletterei im oberen Wandteil irrsinnig schwierig ist. Das Wetter muss zu 100 Prozent passen, damit man eine Chance hat", so der dreifache österreichische Eisklettermeister. Es sei ein schwieriger Prozess gewesen, das Abbrechen zu lernen und nicht mit der Brechstange an das Projekt heranzugehen. "Bei so einem hochkarätigem Ziel schon beim Einstieg abzublitzen war eine ganz neue Erfahrung."

Nach zweimaligem Scheitern der viel Zeit in Anspruch nehmenden Expeditionen am Masherbrum ging Ortner zwischendurch allein seinen Weg, der ihn auch nach Nepal führte.
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Tragödie

Hernach trennten sich die Wege der drei Ausnahmekönner, jeder verfolgte seine eigenen Projekte. Sie wollten nicht einen weiteren Sommer in den Masherbrum investieren. Eine derartige Unternehmung verschlingt mit Akklimatisierung zweieinhalb Monate. Ortner hat danach in Patagonien sämtliche Torres abgehakt, war auch in Alaska und Nepal. "Als es dann wieder zum Reden gewesen wäre, was wir gemeinsam machen, ist dann leider dieses tragische Unglück passiert", erzählt Ortner, der mit gebrochenem Oberschenkel auf der Terrasse lag, als Lamas Mutter anrief. "Ich habe gleich gewusst, Scheiße, da ist etwas passiert." Danach hat er sich verbarrikadiert, auf viele Anrufe nicht reagiert, wollte kein Statement abgeben, "weil ich es selbst nicht fassen konnte, dass es wirklich ist".

Eine Aufnahme aus guten alten Zeiten und im Rahmen der Winterbegehung des Schiefen Risses der Sagwandspitze (Zillertaler Alpen) 2013. Ortner (li.) hat viele Projekte mit David Lama (Mitte) und auch einige mit Hansjörg Auer (re.) umgesetzt. 2019 kamen seine Bergsteiger- und Kletterkollegen bei einem Lawinenabgang ums Leben.
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Absturz

Während Lama, Auer und Jess Roskelley im April 2019 in den Rocky Mountains bei einem Lawinenabgang ums Leben kamen, hatte Ortner bei einem Absturz am Großglockner zwei Wochen davor großes Glück. Beim Start mit dem Gleitschirm neben dem Gipfelkreuz passierte das Malheur. "Da ist wenig Platz, ich dachte, dass alles perfekt ist, bin aber bissl hängen geblieben, und dann hat es mich 50 Meter weiter unten in die Wand hineingestanzt."

Vor zehn Jahren hat er begonnen, mit einem Gleitschirm von den Bergen zu fliegen. Weil es aber "einige Bekannte zerbröselte", brach er "das ganze Gschichtl" ab. Mit der Weiterentwicklung des Equipments hat er sich wieder an das Paragleiten herangewagt und fliegt nun seit fünf Jahren intensiv. Neben dem Genuss des Fliegens gebe es einen entscheidenden Vorteil: mehr Flexibilität. "Ich kann den ganzen Tag für den Aufstieg verwenden, und am Abend bin ich in 20 Minuten im Tal. Da gehen ganz andere Projekte."

Start auf dem Zettersfeld oberhalb von Lienz. Ortner: "Der Abstieg gehört zu jeder Tour dazu, da meckert keiner herum. Wenn die Verhältnisse zum Fliegen nicht passen, steige ich auch wieder ab, muss nichts erzwingen. Wenn es aber funktioniert, dann ist es umso schöner."
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Grenzerfahrung in Alaska

Ortner bereitet sich immer möglichst optimal vor, plant stets eine Reserve ein. Bis 2017 ist alles gutgegangen. "Aber am Denali bin ich über meine Reserve hinausgeschossen." Beim Wintersolobesteigungsversuch des mit 6.190 Metern höchsten Berges Alaskas, der von 1917 bis 2015 Mount McKinley genannt wurde, ging ein Innenschuh kaputt. "Ich musste schauen, dass ich die Nacht bei minus 50 Grad überlebe und am nächsten Tag irgendwie lebendig runterkomme." Vom Basislager ist er dann mit sechs abgefrorenen Zehen ausgeflogen worden. "Ich war kurz vor dem Aufgeben, weil es körperlich und mental so anstrengend war. Das war eine Grenzerfahrung."

Unterwegs im Steileis an der Zugspitze bei Ehrwald. Ob Fels, ob Eis: Ortner fasziniert die Suche nach dem Limit.
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Danach hat Ortner das Buch "Border – Am Limit meiner Grenzen" geschrieben. Weil es "immer wieder einmal getuscht hat", wollte er sich auch mit der Frage auseinandersetzen, ob er weitermacht. Schlussendlich aber sei ihm bewusst geworden, dass er liebe, was er macht. "Es ist ein gewisser Lebensstil, den man wahrscheinlich ein Leben lang pflegt. Ich war immer schon auf der Suche nach meinem Limit." Es mache ihm grundsätzlich Spaß, sich am Limit zu bewegen. Seine Lehren aus den Tragödien? "Wir können uns richtig gut einschätzen, wissen, was wir machen, sind ja nicht blauäugig unterwegs. Aber das Problem ist, je öfter man sich der Gefahr aussetzt, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass irgendwann einmal etwas Unvorhergesehenes passiert."

David Lamas Eltern Claudia und Rinzi wollen Ortner mit dabei haben, wenn sie nach Nepal fliegen, um Verwandte zu besuchen.
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Peru, Nepal, Norwegen

Mit Corona haben sich auch Ortners Pläne verschoben. Im April wären eigentlich ein paar Sechstausender in Peru geplant gewesen. Nun werden es wahrscheinlich ein paar Klettertouren in Norwegen mit Flügen über die Fjorde. Ob er im November mit Lamas Eltern Claudia und Rinzi die Verwandtschaft seines früheren Kletterkollegen in Nepal besuchen und ein paar Sechstausender klettern wird, ist noch ungewiss. Klappt die Peru-Reise noch, dann will er seine neue Freundin mitnehmen, die ihn akzeptiert, wie er ist, auch wenn sie nicht klettert. Sie verstehe besser als die Mutter seiner drei Kinder, was er und warum er es macht.

Nicht im Rampenlicht

Popularität ist und war dem ruhigen und "eher zurückgezogen" lebenden Kletterer nie wichtig. Daher wollte er auch nie einen Manager, der ihn vermarktet. Dass bei vielen gemeinsamen Unternehmungen praktisch nur die Rede von Lama war, sei ihm "grundsätzlich wurscht" gewesen. Die Osttirol-Werbung hat ihn jahrelang unterstützt, Scarpa und Kästle tun dies aktuell. Wenn er für eine Expedition etwas benötigt, weiß er, wen er anruft. (Thomas Hirner, 3.8.2020)