Patricia Schultz ist nur selten in ihrer Homebase New York anzutreffen. Derzeit entdeckt sie den Central Park neu.

Foto: Verlag Vista Point

Gilt als das meistverkaufte Reisebuch aller Zeiten: "1000 Places to See Before You Die" von Patricia Schultz.

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STANDARD: Frau Schultz, Ihr Buch "1000 Places to See Before You Die" gilt als das meistverkaufte Reisebuch aller Zeiten. Doch in 213 Ländern der Welt wütet ein Virus. Es gibt tausende Plätze, die man derzeit nicht besuchen kann ...

Patricia Schultz: Eines ist sicher für uns Reisende: Die Frage ist nicht, ob wir wieder frei reisen können, sondern wann. Bis dahin müssen wir pausieren und können tagträumen. Ich hoffe, das wird uns klarmachen, wie viel noch auf uns wartet. Ich glaube, wir werden die Welt mehr wertschätzen und dankbar sein, wenn es wieder sicher genug ist zu reisen.

STANDARD: Wie fühlt es sich für eine Vielgereiste wie Sie an, nicht wegzukönnen?

Schultz: Ich bin schon so lange nur unterwegs gewesen, dass ich vergessen habe, wie ein stationäres Leben aussieht. Meine Homebase ist New York City, wo die Corona-Krise besonders schrecklich ist. Meinen täglichen Spaziergang – der sogar behördlich empfohlen wurde – mache ich im Central Park. Für mich war es nie ein Problem, zu Hause und damit auf der sicheren Seite zu bleiben. Das ist nicht das Ende der Welt, die Welt, und ihre Wunder warten schon auf uns.

STANDARD: Ihr deutscher Verleger Herbert Ullmann sagt, dass Bücher Lebensmittel sind. Glauben Sie, dass man Reisebücher wie einen Roman verschlingen kann?

Schultz: Wenn Herr Ullmann Bücher mit Lebensmitteln vergleicht, dann ist ein Buch über Reisen wohl besonders schmackhaft. Das Thema meines Buches sind zwar Reiseempfehlungen, aber die Seiten enthalten auch Versprechen, etwa von Abenteuern in Äthiopien oder von der reichen Geschichte Usbekistans. Man muss sich nur auf eine dieser Szenen einlassen, und schon kann man selbst einen Roman schreiben.

STANDARD: Ihr Buch ist eine Lebensliste. Die Menschen leben länger als früher. Arbeiten Sie bereits an weiteren "1000 places"?

Schultz: Ich bin begeistert, dass die Menschen heute länger fit bleiben und auch im Alter am Leben teilhaben. Auf einer Schiffsexpedition in die Arktis habe ich zwei Schwestern aus Großbritannien getroffen, die über 80 waren. Ich möchte, dass mein Buch für alle ist – egal welchen Alters, mit welchen Inter essen oder Budgets. Wenn ich reise, besuche ich immer auch Orte, die schon im Buch sind, um zu sehen, ob und wie sie sich verändert haben. Ich denke, dieses eine Buch aktuell zu halten wird mir noch lange Arbeit bereiten.

STANDARD: Junge Menschen sind wiederum reiseerfahrener als früher. Hat sich das Reisen dadurch verändert und – machen Sie jetzt auch Selfies?

Schultz: Vor Corona konnte man leicht für ein langes Wochenende in Städte reisen – auch mit der Möglichkeit, in der Ferne zu arbeiten. Man kann sich heute praktisch von überall bei seinem Chef melden. Ich bin auch überrascht, wie sich abgelegene Ziele wachsender Beliebtheit erfreuen. Vergleichen Sie den Tourismus nach Grönland oder in die Antarktis heute mit dem vor einigen Jahren. Aber Selfies? Ich fange nur langsam an, mich dafür zu erwärmen. Wenn ich mit Freunden unterwegs bin, bekommen wir einige lustige Fotos hin. Aber was mich nervt: wenn es nur darum geht, das richtige Bild für Instagram zu inszenieren, und dabei das Erleben der Situation ruiniert wird.

STANDARD: Hat sich Ihre Wahrnehmung über die Jahre durch das Reisen verändert?

Schultz: Ich glaube, ich habe mehr Wertschätzung für viele Dinge entwickelt. Ich bemühe mich jetzt mehr darum, im Hier und Jetzt zu leben. Ich versuche, einfache, alltägliche Details ebenso bewusst wahrzunehmen wie das große Ganze, Politik und unseren Lebensstandard. Und ich kann mich gut mit jemandem identifizieren, der zum allerersten Mal auf Reisen ist. Ich fühle immer noch den Nervenkitzel und dieselbe Aufregung, wenn ich an einem ganz neuen Ort ziellos herumspaziere. Ich liebe auch diese Veteranen, für die das Reisen seit Jahrzehnten einen festen Platz in ihrem Leben hat. Die unersättlich und nicht aufzuhalten sind, aber nicht abgestumpft. Die genauso viel Abenteuer in einer Expedition nach Papua-Neuguinea sehen wie zu Hause im Gang zum nächsten Geschäft.

STANDARD: Welche Neuentdeckung hat Sie zuletzt am meisten überrascht?

Schultz: Eine meiner größten Überraschungen war ein Trip nach Laos im Februar 2020. Ich hatte meine Hausaufgaben gemacht und wusste, was ich erwarten konnte. Aber das Land war so voller Überraschungen, dass mir bei der Abreise der Kopf schwirrte vor lauter Eindrücken – von der Bootstour auf dem Mekong, von fabelhaften Tempeln und von den Ruinen der Angkor-Wat-Zivilisation.

STANDARD: Gibt es eine Botschaft, die Sie Ihren Lesern in dieser Zeit mitgeben möchten?

Schultz: Das Reisen wird nie verschwinden, und auch die meisten Ziele auf unseren Wunschlisten werden es nicht. Es ist weise, manchmal innezuhalten, zu überlegen und durchzuatmen. Und dann wieder loszuziehen, ausgeruht und mit neuer Kraft. Es gilt jetzt vorsichtig und geduldig zu sein. Wir müssen bereit sein, alles Nötige zu tun und neue Richtlinien zu befolgen. Liebe Leute, macht in der Zwischenzeit eure Hausaufgaben, recherchiert und spart eure Euros. Ich hoffe, ihr könnt sie bald für das großartigste Abenteuer eures Lebens ausgeben! (Karl Teuschl, RONDO, 3.8.2020)