Das Heck eines Ferraris sehen die besten Teams der Formel 1 heuer eher beim Überrunden.

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Maranello – Man muss tatsächlich nicht allzu weit in den Formel-1-Geschichtsbüchern zurückblättern, um auf einen noch miserableren Ferrari-Saisonstart zu stoßen. 2014 war es, da gönnte sich die Scuderia mit dem stolzen Spanier Fernando Alonso und "Iceman" Kimi Räikkönen zwei Weltmeister als Piloten – und fuhr in den ersten drei Saisonrennen am Podest vorbei.

Zum gleichen Zeitpunkt 2020 steht zumindest ein zweiter Platz zu Buche, wenn auch ein überaus glücklicher durch Charles Leclerc beim Auftakt in Österreich. Doch es steht zu befürchten, dass die Ferraristi wie schon 2014 im ganzen Jahr keinen Sieg bejubeln können. Einen anderen Schluss lassen nicht nur die bisherigen Leistungen, sondern auch das Zwischenfazit von Teamchef Mattia Binotto kaum zu: "Nach drei Rennen ist klar, dass wir schlechter sind als erwartet. Das gesamte Projekt muss überdacht werden."

Vor dem Großen Preis von Großbritannien (Sonntag, 15.10 Uhr/ORF1 und Sky) haben auch die größten Optimisten in Maranello verstanden: Der SF1000 ist ein Desaster. Die einst gefürchtete Power-Unit ist seit der berühmten "Klarstellung" der Benzinfluss-Regel nur noch ein Motörchen, die Aerodynamik seit Jahren ohnehin das Sorgenkind.

Leistung im Visier

Ferrari reagierte in der Vorwoche. Ein wenig überraschend nicht durch Entlassungen, stattdessen wurde eine weitere Abteilung gegründet, die Sektion für Leistungsentwicklung mit Enrico Cardile an der Spitze. Ziel ist es, dem SF1000 und damit auch Sebastian Vettel wieder zu einer höheren Leistungsfähigkeit zu verhelfen. "Wir haben begonnen, die Grundlagen für einen Prozess zu legen, der zu einem neuen und dauerhaften Siegeszyklus führen soll. Dafür benötigt es aber Zeit", erklärte Binotto.

Doch Zeit ist genau das, was Ferrari nicht hat. Rang fünf in der Team-WM ist beschämend. Raum für schnelle Verbesserung besteht aber kaum, weil das technische Reglement in der Coronakrise bis Ende 2021 in weiten Teilen eingefroren wurde.

Der Plan, den Ferrari der Saison 2020 von einem Wagen für Hochgeschwindigkeitsstrecken in einen Alleskönner umzufunktionieren, ist grandios gescheitert. "Es ist nicht das erste Mal, dass wir bei Ferrari schwierige Jahre haben", wiegelte Binotto ab.

Binotto im Visier

Der 50-Jährige ist sein halbes Leben für Italiens Motorsport-Stolz tätig. Doch der Stallgeruch beim Cavallino Rampante dürfte ihm auf lange Sicht wenig nützen, die zu Extremen neigende italienische Presse hat sich bereits auf Binotto eingeschossen.

"Wenn du nicht ablieferst – so wie wir im Moment – bekommst du viel Druck. Hauptsächlich von außen", erklärte Binotto: "Aber ich glaube, wir machen uns auch selbst viel Druck, weil wir unser Ziel kennen, wir als Ferrari."

2022 im Visier

Selbst wenn man Binotto lässt, wird es wohl dauern, ehe die Scuderia wieder dort ist, wo sie sich selbst erwartet. "Die Wahrheit ist, dass unser Auto nicht konkurrenzfähig ist", sagte John Elkann, Chef des Mutterkonzerns Fiat Chrysler, der Gazzetta dello Sport: "Wir schaffen jetzt die Basis, um wieder zu gewinnen, wenn die Regeln 2022 geändert werden."

Der langjährige Ferrari-Präsident Luca di Montezemolo, eng verknüpft mit den fünf Titeln Michael Schumachers (2000 bis 2004), sieht sogar die Gefahr einer Dauerkrise: "Diese Saison ist verloren, doch ich bin auch für die nächsten Jahre besorgt." (sid, 28.7.2020)