1960 war die Idylle noch intakt: Rössl-Wirtin Josepha Vogelhuber (Waltraud Haas) und Oberkellner Leopold (Peter Alexander) erwarten den aus Berlin anreisenden Touristen Sigismund, der so schön ist.

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Identitätsstiftende österreichische Kulturleistungen gibt es natürlich noch und nöcher. Auf der dunklen Seite der Macht sind uns, abgesehen von Reblaus-Filmen mit Hans Moser, etwa Elfriede Jelineks Die Kinder der Toten, die Staatsoperette, die Piefke-Saga, André Hellers und Helmut Qualtingers Heurige und gestrige Lieder, die lebenslange Trauerarbeit Thomas Bernhards oder das Frühwerk von Wolfgang Ambros oder Georg Danzer unter besonderer Berücksichtigung von Kurt Sowinetz’ Alle Menschen san ma zwider in Erinnerung.

Wenn jemand so weit gehen möchte, dass er beim Text von I Am from Austria wirklich zuhört, kann man auch Rainhard Fendrich erwähnen.

Weil aber die Sonne für alle gleich scheint (warum nicht auch für Österreich?), wie es im 1952 als Nazi-Wisch-und-weg entstandenen Kinofilm 1. April 2000 heißt, tritt das laut Bundeshymne vielgeprüfte Österreich im Ausland auch gern in der Postkartenidylle zwischen Wiener Blut, Fledermaus, Donau so blau, Edelweiss oder Ein Schloß am Wörthersee mit vorzugsweise deutscher Besatzung in den Hauptrollen auf.

Das Glück vor der Tür

Apropos Wörthersee: Am Wolfgangsee verbrachte nicht nur der ehemalige deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl über 30 Jahre lang seine Sommerfrische. Schon Ende des 19. Jahrhunderts fertigten Oskar Blumenthal und Gustav Kadelburg während eines Urlaubs im Salzkammergut das "Altberliner Singspiel" Im Weißen Rössl.

Dieses wurde 1930 vom ursprünglich österreichischen Komponisten Ralph Benatzky zur Operette verdichtet. Klugerweise emigrierte er schon frühzeitig, weil er die Nazis nicht mochte ("Urgermanen mit Wampe und Nackenspeck, mit rückwärts rasiertem und oben hahnenkammartig durch eine Scheitelfrisur gekrönte Schädel, arisch-arrogant, provinzlerisch gackernd"). Im Weißen Rössl wurde vor dem Krieg zum Welterfolg zwischen Berlin, Paris, London und New York.

Wir kennen heute vor allem den ab 1960 eine ganze Generation von Wirtschaftswunderkindern belastenden (und in die damalige Gegenwart geholten) Kino- und Wohlfühlklassiker mit Peter Alexander und Waltraud Haas in den Hauptrollen. Haas als resche Rössl-Wirtin war in dieser Zeit auch für Dreharbeiten im Wachauerlandl als unschuldiges Mariandl oder später als einen Playboy befriedende Steuerberaterin Hilde Moll in 00Sex am Wörthersee unterwegs; gewissermaßen eine heimische Lesart von Doris Day als Tourismusbeauftragte im deutschen Kino.

onyxen

Peter Alexander gab dazu den treuherzigen Tölpel und Oberkellner Leopold. Der gelernte Wiener Psychiater sowie passionierte Komiker, Rennfahrer und Ohrenwackler Gunther Philipp flog als Sigismund Sülzheimer mit dem Helikopter in St. Wolfgang ein und sang das schöne Lied Was kann der Sigismund dafür (dass er so schön ist).

Waltraud Haas ist als Frau in der Chefrolle natürlich nicht wirklich fähig, die Touristen unter Kontrolle zu halten (Deutsche!). Peter Alexander versucht das Chaos mit plumper Situationskomik und Liedern wie Es muss was Wunderbares sein (von dir geliebt zu werden), Im Weißen Rössl am Wolfgangsee (da steht das Glück vor der Tür) und vor allem dem unterschätzten Verlierersong Zuschaun kann i net zu entwirren: "Zuaschaun kann i ned / Zuaschaun mog i ned / Wann i ned söba bin dabei / Bricht mir das Herz entzwei."

Heimatfilme

Während die deutschen Touristen vor malerischer Kulisse ihre forschen und zackigen Ränkespiele vollführen, beschäftigt sich Oberkellner Leopold als ungelenke Mischung aus Jerry Lewis und Dean Martin mit gemütlichem Lavieren. Zwischen servilem Dienstleistungsgewerbe und latenter Aufsässigkeit gegenüber den Fremden entwirft Peter Alexander das Sinnbild der heimischen Tourismusbranche.

Waltraud Haas als Wirtin Josepha Vogelhuber steht während der turbulenten Verwicklungen ihren Mann, bis sie endlich den richtigen Mann findet – und ein wenig fraulicher und lieb wird. Im Hintergrund turnt Sepp Löwinger von der früher im Fernsehen dominanten Löwinger-Bühne als "Wurzelsepp" herum; eine Frühform von Hias – das Urviech der Nation aus dem Musikantenstadl. Womit wir bei Musikantenstadl-Mitentwickler Günther Tolar und seinem patriotischen ORF- und Product-Placement-Quiz Made in Austria wären. Wir laden gern uns Gäste ein, aber auch: Mia san mia.

Die Panier bröselt

Was derzeit wegen der Corona-bedingten Abreise der nach wie vor großteils deutschen Gäste verschwiegen wird: Auch heute könnte der Sigismund, der so schön ist, aber nichts dafür kann, ohne Probleme wegen Menschenansammlungen in St. Wolfgang mit seinem Helikopter landen. Niemand würde im Gastgarten des jetzt als "Romantikhotel" geführten Weißen Rössl zur Begrüßung mit der Stoffserviette wacheln. Der vielgepriesene Urlaub auf den Dahamas hat einen schweren Dämpfer erhalten.

Heimatfilme

"Im Salzkammergut, da kann man gut lustig sein", heißt einer der bekanntesten Schlager aus dem Weißen Rössl. Die Idylle des Salzkammerguts, in der immer noch die Idee von Sommer und Frische weht, zerbröselt wie die Panier des dort gern servierten Schnitzels. Aus dem luftigen Salzburger Nockerl aber ist ein Mühlstein geworden. Die Touristen sind abgereist. Wir sind jetzt wieder ganz wir selbst. Oberkellner Leopold hat die Scheidung eingereicht. (Christian Schachinger, 29.7.2020)