Die betrügerischen Machenschaften bei Wirecard sollen schon seit rund 15 Jahre laufen. Ein Ex-Vorstand gibt zudem an, den Aufsichtsrat 2008 informiert zu haben.

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Wien – Die Vorgänge rund um Wirecard nehmen immer skurrilere Züge an. Ein ehemaliger Vorstand gibt nun zu Protokoll, dass der Zahlungsdienstleister schon 15 Jahre vor seiner Insolvenz defizitär gewesen sei. Ab 2008 hätte er auch den Aufsichtsratsvorsitzenden darüber informiert, dass die veröffentlichten Zahlen nur durch massive Eingriffe in die Buchhaltung zustande gekommen seien. Mit diesen Worten zitiert das "Handelsblatt" den Manager, der anonym bleiben will.

Aber es wird noch besser: Daraufhin angeblich anberaumte Gespräche mit dem Vorstandsvorsitzenden Markus Braun wären ergebnislos geblieben. Braun wurde mittlerweile zum zweiten Mal verhaftet. Dem 50-jährigen Österreicher werfen die Behörden unter anderem Bilanzfälschung und gewerbsmäßigen Bandenbetrug vor. Es wird betont, dass die Unschuldsvermutung gilt.

Story für den Markt

"Ich habe erst nach einer Weile gemerkt, dass alles sich nur um eines drehte: eine Story für die Kapitalmärkte zu produzieren", sagt der Ex-Vorstand zum "Handelsblatt". "Die nächste Kapitalerhöhung, die nächste Anleihe, der nächste Kredit." Der Manager selbst habe Wirecard vor vielen Jahren verlassen und wundere sich seitdem, dass die Verantwortlichen so lange weitermachen konnten. Das bringt nun erneut die Frage auf den Tisch, warum die Behörden nicht früher eingegriffen haben. "Ich kenne niemanden, der über einen so langen Zeitraum ein so lineares Wachstum gezeigt hat wie Wirecard. Außer Bernie Madoff", so der Ex-Vorstand.

Zur Erinnerung: Madoff hatte Fonds aufgelegt und hohe Renditen bezahlt. Das ausgeschüttete Geld war jedoch jenes, das andere Anleger neu veranlagt hatten. Das Pyramidenspiel bracht 2008 zusammen, Madoff wurde im Juni 2009 zu 150 Jahren Haft verurteilt – für einen Schaden von 65 Milliarden Dollar.

Auch ehemalige Mitarbeiter von Wirecard, die das "Handelsblatt" erreichen konnte, sprechen davon, dass es nie eine Frage gewesen sei, dass bei Wirecard betrogen worden sei. Die einzige Frage sei gewesen, wie lange sich die Betrüger die Taschen füllen könnten, bis der Schwindel auffliegen würde. Es sei so viel Geld im Spiel gewesen, dass Ausgaben für das Ausspionieren und die Einschüchterung von Mitwissern oder Kritikern kleine Posten waren. Von Drohungen gegen einzelne Personen und deren Familien ist ebenfalls die Rede in dem Bericht.

Von langer Hand geplant

Der Betrug, so schildern es die Beteiligten, sei von langer Hand geplant gewesen. "Als ich anfing, habe ich in kurzer Zeit gemerkt, dass die Vorstände überhaupt keine Ahnung vom Geschäft hatten", sagt ein Manager, der vor Jahren ausstieg. "Das hat Braun und seinen Vorstandskollegen Jan Marsalek überhaupt nicht interessiert. Die haben sich den ganzen Tag damit beschäftigt, was den Banken und Aktionären gefallen könnte." Ein weiterer Ex-Mitarbeiter sagt: "Andere Firmen haben einen Börsenkurs, Wirecard war ein Börsenkurs mit Firma."

Mittlerweile fragen sich viele, wie Wirecard im hart umkämpften Markt für Zahlungsabwicklung so rasch wachsen konnte. Braun erklärte die Überlegenheit von Wirecard einst mit der hochinnovativen Technik. Während der Mitbewerb sich mit namhaften Kunden rühmte, zog es Wirecard vor allem nach Asien. Dort soll dann ja ein Großteil des Betrugs gelaufen sein.

Bafin-Chef in der Kritik

Nämlich vor allem in Singapur, von wo aus das Asien-Geschäft des Konzerns gesteuert wurde. 2018 kamen nach Unternehmensangaben bereits etwa 40 Prozent des Gewinns aus Asien. Rund die Hälfte der 5.000 Wirecard-Mitarbeiter waren zuletzt auf dem Kontinent tätig.

Offen ist jedenfalls auch weiterhin, weshalb die deutsche Finanzaufsicht (Bafin) dem Wirecard-Betrug nicht auf die Schliche kam. Denn laut einem Medienbericht war die Bafin bereits seit 2019 in Kontakt mit Singapurs Bankenaufsicht (Mas) und der Strafverfolgungsbehörde. Die beiden Behörden hätten der Bafin Informationen zu Wirecard "zur Verfügung" gestellt, zitiert der "Spiegel" eine Bafin-Sprecherin.

Das wiederum heißt: Der Präsident der Bafin, Felix Hufeld, hat Abgeordnete des Deutschen Bundestags falsch über die Rolle seiner Behörde im Wirecard-Skandal informiert. Konkret geht es um die Sitzung des Finanzausschusses im Bundestag am 1. Juli, bei der Hufeld dem Vorwurf widersprochen hatte, seine Behörde sei Hinweisen auf Marktmanipulationen Wirecards im Ausland nicht ordentlich nachgegangen.

Falsche Aussage

Laut Sitzungsprotokoll der nicht öffentlichen Anhörung hatte Hufeld gesagt, die Bafin habe die örtliche Aufsichtsbehörde in Singapur "unmittelbar nach dem Vorliegen konkreter Hinweise kontaktiert". Die habe an die Polizei verwiesen, an die sich die Bafin auch gewandt habe. Es werde "bis heute auf eine Antwort" gewartet.

Wie der "Spiegel" berichtete, ist Hufelds Aussage aber wahrscheinlich falsch. Auf Anfrage habe die Mas in Singapur vergangene Woche mitgeteilt, sie und die Polizei hätten "relevante vorhandene Informationen" mit den deutschen Kollegen geteilt. (bpf, red, 28.7.2020)