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Im Innenministerium soll man unter Türkis-Blau ein Projekt mit Wirecard angedacht haben.

Foto: Reuters/Rattay

Wie eng war der flüchtige Wirecard-Finanzchef Jan Marsalek mit dem Innenministerium unter Herbert Kickl (FPÖ) verbunden? Diese Frage stellt sich nicht zuletzt, seit Ermittler auf dem Smartphone des einstigen blauen Klubobmanns Johann Gudenus Infos aus dem Inneren des Ministerium gefunden haben, die offenbar von Marsalek stammten. Auch einen Termin im Innenministerium soll Marsalek wahrgenommen haben, um über Vorschläge zum Thema "illegale Einwanderung" zu referieren. Dabei ging es offenbar um Pläne, private Sicherheitsfirmen in Libyen einzusetzen – ein Projekt, bei dem es auch Bezüge zum damals blauen Verteidigungsministerium gab.

Jetzt tauchten allerdings neue Hinweise auf eine weitere geplante Kooperation zwischen Innenministerium und Marsalek auf. So sollen im Ministerium Wirecard-Präsentationen zur Grundversorgung für Asylwerber kursiert sein. Das Innenministerium bestätigte dem STANDARD, dass es entsprechende Gespräche gab, und zwar bis Februar 2019. Angedacht war eine App beziehungsweise eine elektronische Karte für Asylwerber. Diese sei als "Wirecard Refugee App" bezeichnet worden. Aus ÖVP-nahen Kreisen im Innenministerium heißt es, die Beamtenschaft habe dieses Projekt ablehnend und kritisch betrachtet, das Kabinett Kickl habe es jedoch vorangetrieben.

FPÖ verweist auf Beamtenschaft

Das sieht man im Büro Kickl genau umgekehrt. Es habe zwar immer wieder Überlegungen gegeben, die Grundversorgung von Asylwerbern anders zu gestalten, um beispielsweise zu verhindern, dass diese Geld an Familienmitglieder im Ursprungsland schicken. Allerdings gab es "nie einen konkreten Projektauftrag" – und "keinesfalls war Wirecard im Spiel". Man könne aber nicht ausschließen, dass einzelne Beamte derartige Überlegungen gehegt hätten. Für die Gruppe "Grundversorgung" im Ministerium ist und war der ehemalige Büroleiter der damaligen Staatssekretärin Karoline Edtstadler (ÖVP) tätig.

Die Rekonstruktion der Ereignisse liefert aber eine weitere Überraschung: Der Kontakt zur Firma Ebcon, die offenbar die Refugee Card anbietet und in Bayern bereits im Einsatz hat, kam über das Kanzleramt zustande. Eine Kabinettsmitarbeiterin des damaligen Kanzleramtsministers Gernot Blümel (ÖVP) übermittelte den Kontakt ans Innenministerium. Auf der Ebcon-Webseite ist auch von einem "Expertenhearing Refugee Card" im Bundeskanzleramt zu lesen. Auf Anfrage heißt es aus dem Kanzleramt, dass die Firma an das Kabinett herangetreten sei und man sie dann an das zuständige Innenministerium verwiesen habe. Die Firma habe zwar weitere Termine im Kanzleramt wollen, diese habe man aber abgelehnt.

Heimische Ministerien standen schon lange in einer Geschäftsbeziehung mit Wirecard, genau wie zahlreiche renommierte Konzerne weltweit. Wirecard-CEO Markus Braun war auch Mitglied im Thinktank des Kanzleramts, Think Austria. Die Firma geriet jedoch in Verruf, seitdem eine Bilanzfälschung im Ausmaß von mindestens zwei Milliarden Euro entdeckt wurde. Seitdem befindet sich Finanzchef Marsalek auf der Flucht. Er wird auch verdächtigt, mit dem russischen Geheimdienst kooperiert zu haben.

Offenbar war geplant, die Wirecard Refugee App im Nationalen Sicherheitsrat zu thematisieren. Dieser war von der ÖVP am Dienstagabend zum Thema Wirecard einberufen worden. Nachdem Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) krankheitsbedingt abgesagt hatte, zog die Opposition geschlossen aus dem Gremium aus. Auch Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) und SPÖ-Klubchef Jörg Leichtfried (SPÖ) ließen sich entschuldigen. (Fabian Schmid, 29.7.2020)