Koffi Kôkô, Galionsfigur des modernen afrikanischen Tanzes, war 2017 mit seinem Stück "Think About ..." bei Impulstanz in Wien zu Gast.

Foto: Dieter Hartwig

Einer, der ein Tanzsolo über die "Schönheit des Teufels" auf die Bühne zaubert, kann seinem Publikum ganz sicher etwas Spezielles flüstern. Bei Koffi Kôkô trifft das zu, auch wenn er kein Verehrer Satans, sondern höchstrangiger Voodoo-Priester und noch dazu eine Galionsfigur des modernen afrikanischen Tanzes ist.

Als Choreograf, Tänzer und Lehrer schaut Kôkô öfters in Wien vorbei. 2017 zeigte Impulstanz sein Stück Think About ..., im Vorjahr präsentierte er ein von dem Berliner Tanzautor Johannes Odenthal verfasstes Buch über sein Werk und seine Philosophie, und jetzt im August wird er beim Impulstanz-Workshop-Festival unterrichten.

Wenn der charismatische Tänzer mit sonorer Stimme über seine beiden Leben als Künstler und als hochrangiger Dah (spiritueller Meister) des Vodun (Voodoo auf Französisch) erzählt, dann können sich Details seiner Biografie immer wieder einmal ändern. Sein genaues Alter ist und bleibt ein wohlgehütetes Geheimnis. Jedenfalls kam er als Jean Max Koffi Kôkô in der westafrikanischen Republik Benin zur Welt, und zwar etliche Jahre vor deren Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Frankreich im August 1960. Bis 1975 hieß das Land noch Dahomey, nach dem alten Königreich. Kôkô ist Sohn eines Diplomaten und Enkel einer Voodoo-Priesterin, deren Tempel er heute leitet. Aus seiner Geburtsstadt Ouidah stammt auch die berühmte Sängerin-Choreografin Angélique Kidjo, die Anfang der 1980er-Jahre nach Frankreich ausgewandert ist. Genau zu dieser Zeit ließ der Brite Bruce Chatwin die düstere Vergangenheit dieser Stadt in seinem Roman Der Vizekönig von Ouidah wieder aufleben.

Zentrum der Spiritualität

Dahomey war ab dem 16. Jahrhundert Teil der berüchtigten Sklavenküste. Erste Abnehmer der zu verschiffenden Leibeigenen waren portugiesische Kolonisten, die Sklavenjagd sollen afrikanische Stämme übernommen haben, den Markt organisierten muslimische Händler. Bis ins 19. Jahrhundert bildete Ouidah einen Brennpunkt des Menschenhandels. Heute gilt die Stadt am Atlantik als "Vatikan" der animistischen Vodun-Religion mit seinem Wahrzeichen, dem Temple des Pythons, dem gegenüber 1909 eine katholische Basilika gebaut wurde.

Der Pythontempel ist ein Zeichen dafür, dass man sich die eigene Spiritualität nicht hat nehmen lassen. "Ich komme aus einer Familie der Nago", sagt Kôkô. "Das sind Yoruba, die trotz Sklaverei und Katholizismus Animisten geblieben sind." Im Alter von acht Jahren erlebte er seine erste Initiation: "Sie dauerte mehrere Monate", am Ende stand seine "erste Konfrontation mit dem Tanz". In Benin sei der Tanz als "eine Art der totalen Kommunikation mit den Göttern und mit der Gesellschaft" allgegenwärtig.

Tradition und James Brown

Ende der 1970er-Jahre brach Koffi Kôkô nach Frankreich auf. Schon zuvor hatte er, so berichtet er in Odenthals Buch, begonnen, "in der Hauptstadt Cotonou an einer Bewegung teilzunehmen, die sich an die afroamerikanische Kultur anlehnte und die stark von James Brown beeinflusst war". Die schwarze Musik und die Videos von jenseits des Atlantiks eröffneten ganz neue Möglichkeiten. Dadurch "habe ich das Traditionelle sehr stark mit meinen persönlichen Ausdrucksformen durchmischt".

In Paris angekommen, arbeitete er in diversen Jobs, bevor er 1984 in dem kleinen Theater des Centre Mandapa sein erstes Stück, Passages, herausbrachte. Danach war die anfängliche Durststrecke vorbei. Er zeigte dieses Solo bei verschiedenen Festivals und kooperierte mit anderen Künstlern wie Yoshi Oida oder später Ismael Ivo. Das Solo Xam und der Vogel (1989, verfilmt 1995) widmete er einem Meister des afrikanischen "Himmelstanzes" (auf bis zu zwölf Meter hohen Bambusstangen). Betreffender Tänzer, ein Onkel von Kôkô, war während einer Aufführung dieser riskanten Kunst ums Leben gekommen.

Ohne Subventionen

Im Jahr 2001 hatte das Tanztheater Die Zofen nach Jean Genet Premiere. Neben Koffi Kôkô und Ismael Ivo tanzte darin unter der Regie von Yoshi Oida auch der türkischstämmige Wahlwiener Ziya Azazi. Rund vierzig Stücke hat Kôkô bisher geschaffen. Nie suchte er dafür um staatliche Subventionen an, sondern verdiente sein Geld mit Kursen, Kooperationen und Einladungen.

"Ich möchte meine Unabhängigkeit bewahren." Bittsteller sein geht gar nicht: "Da verkaufst du deine Seele." Diese Haltung hat Seltenheitswert. Bald umgab Koffi Kôkô der Ruch eines künstlerischen Rebellen. Er verschränkte afrikanischen Traditionalismus mit modernen Tanzformen, passte sich keinem Trend an, und doch hat er zwischen, sagen wir, Benin und Berlin höchste Anerkennung gefunden.

Von der westlichen Popkultur werden Stereotype aus dem Voodoo gewinnbringend, wenn auch nicht immer intelligent, verbraten. In seinem Ursprungsraum Westafrika ist der Vodun eine Philosophie, die synkretistisch unterschiedlichste Einflüsse und Vermengungen erlaubt und fördert. Kôkô etwa respektiert auch den Humanismus der Freimaurer. In Benin habe er die "höchste Position in der Spiritualität des Vodun" erlangt "und wenige Jahre später erreichte ich eine ähnliche Position bei den Freimaurern".

"Universelle Reflexion notwendig"

Für den Künstler birgt der Vodun-Synkretismus eine Philosophie des Umgangs mit Paradoxien, wie La beauté du diable ("Die Schönheit des Teufels") eine zu sein scheint. In diesem Solotanzstück von 2011 geht es um Kôkôs spirituelles Wissen.

Fazit: "Der Mensch hat die Natur zu sehr herausgefordert. Wenn wir sehen, wie dieser Teufel in uns mit der Welt umgegangen ist, dann ist eine universelle Reflexion notwendig, um alle Möglichkeiten einer Heilung zu erkunden." Ohne die Beschäftigung mit dem Körper werde das nicht möglich sein. Dazu passt nun perfekt der Titel seines Workshops (ab 9. 8.) bei Impulstanz: "The Union with Nature is the Sacred Environment". (Helmut Ploebst, 30.7.2020)