Auch die Chefin des Momentum-Instituts Barbara Blaha argumentiert mit rücksichtsloser Wachstumslogik, kritisiert der Soziologe Andreas Stückler in seiner Replik.

Der Gastkommentar von Barbara Blaha ("Geld oder Leben?") ist symptomatisch für die Mogelpackung, die Konzepte einer "grünen" und "nachhaltigen" Wirtschaftspolitik darstellen, die sich zugleich als Wirtschafts- und Wachstumskritik gerieren. Dabei wird zwar zunächst völlig zu Recht Bundeskanzler Sebastian Kurz dafür kritisiert, einerseits einen grundsätzlichen Widerspruch zwischen Ökonomie und Ökologie zu verneinen, andererseits jedoch Entscheidungen stets einseitig zugunsten der Wirtschaft zu fällen – nur um anschließend in der eigenen Argumentation im Prinzip dasselbe zu tun und alle "alternativen" Maßnahmen primär mit ihren positiven Effekten für die Wirtschaft zu begründen.

Da werden dann Studien zitiert, die die Wachstumspotenziale einer grünen Wirtschaftspolitik belegen sollen, etwa zum Bahnausbau. Nicht erwähnt werden andere Studien, die zu der Einsicht gelangen, dass durch den im großen Stil forcierten Bahnausbau kurz- bis mittelfristig so viel CO2 emittiert würde, dass sich ein ökologischer "Mehrwert" – wenn überhaupt – erst in 50 bis 60 Jahren einstellen würde.

Falsches Beurteilungskriterium

Auch der Corona-Lockdown wird von Blaha nur vordergründig sozial und ethisch mit dem Schutz von Menschenleben legitimiert, um sodann den Konsum – also selbst eine wirtschaftliche Kategorie – zum primären Beurteilungskriterium zu erklären, quasi nach dem Motto: Tote oder auf andere Weise von Corona Betroffene können nicht (so viel) konsumieren – zum nachhaltigen Schaden der Wirtschaft. Das ist freilich so richtig, wie es marktwirtschaftlich borniert ist und daher mehr mit dem (ebenfalls zu Recht) kritisierten texanischen Senatspräsidenten, der die Alten im Interesse der Wirtschaft dem Coronavirus opfern wollte, gemein hat, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Der Unterschied besteht lediglich darin, dass der eine wirtschaftlich gegen, die andere wirtschaftlich für den Lockdown votiert.

Eine rote Karte für's Wirtschaftswachstum.
Foto: EPA / Sascha Steinbach

Wie das wirtschaftlich Verheerende (Lockdown) mit dem wirtschaftlich Notwendigen (Konsum) vereinbar ist – warum also die von Blaha goutierten Lockdown-Maßnahmen wirtschaftlich per se vorteilhafter sein sollen als ein ethisch bedenklicher Nicht-Lockdown –, bleibt dabei Blahas Geheimnis. In wirtschaftlicher Hinsicht wird sie empirisch, zumindest bislang, von Schweden eindrucksvoll widerlegt. Dass die "Konsumfreude" der Menschen und die marktwirtschaftliche "Systemrelevanz" eines möglichst exzessiven Konsums zu einem der Haupttreiber der beklagten ökologischen Problematik gehören, spielt in dieser Argumentation ohnehin keine Rolle.

Verwerfliche Wachstumslogik

So ist es also letztlich Blahas eigene Argumentation, die im Grunde nur bestätigt, wogegen sie dem Anspruch nach argumentiert: nämlich dass es in einer Marktwirtschaft sehr wohl einen Widerspruch zwischen Geld und Leben, zwischen Ökonomie und Ökologie gibt. Auch unter den Prämissen eines "grünen Kapitalismus" gibt es ökonomische Notwendigkeiten, wie Wachstum, Konsum, die daher auch weiterhin im Zweifel die Oberhand über das ökologisch Notwendige und ethisch Gebotene haben werden. Selbst ihre Feststellung, dass auf einem ökologisch verwüsteten Planeten kein Wirtschaftswachstum mehr stattfinden könnte, folgt nur derselben rücksichtslosen Wachstumslogik, die sie vorgeblich kritisiert.

Denn richtig wird der Satz nur anders herum: Beständiges Wirtschaftswachstum gibt es nur um den Preis fortschreitender Ressourcenverbrennung und ökologischer Zerstörung. Es ist daher einigermaßen absurd, den Planeten primär im Interesse eines auch in Zukunft zu erzielenden Wirtschaftswachstums retten zu wollen – denn eben in diesem Zwang zu ökonomischem Wachstum liegt das Problem. Wenn unsere ökologische Zukunft nicht schon heute endgültig besiegelt sein soll, wird es sehr viel mehr und Mutigeres brauchen als Konzepte eines "grünen Kapitalismus" oder einer "ökosozialen Marktwirtschaft". (Andreas Stückler, 30.7.2020)