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Frische Gräber auf dem Friedhof von Nembro in der Nähe von Bergamo, dem Epizentrum der Pandemie in Italien. Dass in Italien Großeltern, Eltern und Kinder mehr Kontakt haben als in anderen Ländern, dürfte sich auf die Zahl der Todesfälle nicht ausgewirkt haben.

REUTERS / Flavio Lo Scalzo

Österreich ist im europäischen Vergleich längst nicht am besten, aber vergleichsweise gut durch die bisherige Covid-19-Pandemie gekommen. Insbesondere beim Blick über die Grenzen zu den Nachbarn im Süden und Westen schneiden wir in den Gesundheitsstatistiken besser ab. Nach den offiziellen Zahlen sind in Italien bisher knapp über 35.000 Personen an Covid-19 gestorben (rund 580 pro eine Million Einwohner), in der Schweiz knapp unter 2.000 (rund 230 pro eine Million), während Österreich nur 719 gemeldete Todesfälle zu beklagen hat (rund 80 pro eine Million).

Woran liegen diese Unterschiede? Eine der Hypothesen besagt, dass jene Länder in Europa besonders stark betroffen waren, in denen familiäre Kontakte und das Zusammenleben mehrerer Generationen unter einem Dach eher üblich sind. Im Ländervergleich scheint diese Annahme schlüssig. In Italien etwa passen Großeltern besonders häufig auf Enkelkinder auf – und hätten sich so als gefährdete Gruppe besonders häufig infiziert.

Tendenzielle Falsifikation

Ein internationales Forschertrio um die Soziologin Valeria Bordone (Universität Wien) fühlte dieser Annahme nun empirisch auf den Zahn. Und wie die Wissenschafter im Fachblatt "PNAS" berichten, dürfte sie im Detail betrachtet nur sehr bedingt haltbar sein: Denn gerade in jenen italienischen Regionen, wo die meisten Toten zu beklagen waren (also insbesondere in der Lombardei), sei das intergenerationelle Zusammenleben im italienischen Regionenvergleich besonders schwach ausgeprägt.

Bordone und ihre Kollegen Bruno Arpino (Uni Florenz) und Marta Pasqualini (Uni Pompeu Fabra in Barcelona) gehen deshalb vielmehr davon aus, dass in der Lombardei die höhere Opferzahl vielmehr dadurch erklärbar ist, dass dort besonders viele Menschen in Altersheimen leb(t)en. Eine weitere Erklärung sehen sie in den schwächeren Gesundheitssystemen der besonders stark betroffenen Regionen und Länder. Schließlich betonen sie umgekehrt auch noch die positive Bedeutung des Zusammenlebens über mehreren Generationen hinweg, das gerade während des Lockdowns psychische Vorteile gebracht und das Eingesperrtsein erträglicher gemacht habe.

Vom richtigen Zeitpunkt

Wie aber ist nun zu erklären, dass die Schweiz im Vergleich zu Österreich bisher fast die dreifache Zahl an Opfern hat, sowohl in relativen wie in absoluten Zahlen? Auch dazu gibt es eine neue Untersuchung, die bislang allerdings nur als Preprint publiziert wurde, also von Fachkollegen noch nicht begutachtet wurde.

Die Schweizer Forscher um den Epidemiologen Christian Althaus (Uni) Bern haben eine Modellrechnung angestellt, wie viele Opfer es in der Schweiz gegeben hätte, wenn der Lockdown nicht um den 17. März herum gestaffelt begonnen hätte, sondern eine Woche früher oder eine Woche später. Solche Modellrechnungen sind immer umstritten, da sie von bestimmten Vorannahmen ausgehen – aber sie zeigen eindeutig, dass der Zeitfaktor bei der Pandemie mitentscheidend war.

Enorme Unterschiede

Althaus und seine Kollegen kommen auf diese Weise zum Schluss, dass bei einer Verzögerung der Maßnahmen in der Schweiz um sieben Tage vermutlich mehr als 8.000 Menschen gestorben wären. Wären die Maßnahmen eine Woche früher gekommen, wären hingegen nur 400 Tote zu beklagen gewesen.

Darin könnte auch einer der Gründe liegen, warum Österreich bis jetzt besser als die Schweiz davonkam: Der Lockdown erfolgte hier zwar auch erst am 17. März. Aber im Vergleich zum jeweiligen Infektionsgeschehen in der Schweiz (und natürlich zu jenem in Italien) war das etwas früher – und zudem erfolgte der Lockdown um einiges strikter als bei den Eidgenossen. (tasch, 29.7.2020)