Ideen und Vorstellungen rund um das Thema Menschenhandel sind oft von stereotypen Annahmen geprägt. Wenn an "typische" Betroffene gedacht wird, entstehen vor dem geistigen Auge sehr wahrscheinlich Bilder, die von sensationshungrigem Journalismus oder der Kommunikation von Hilfsorganisationen geprägt sind. Hier werden Betroffene vorwiegend als Opfer dargestellt. Doch bei genauerer Betrachtung und wenn man die Individuen und ihre Geschichten ins Zentrum rückt, werden die komplexen Verflechtungen von persönlichen Gegebenheiten und strukturellen Bedingungen sichtbar.

Wie diese miteinander verbunden sind, lässt sich mit einem in der Forschung sogenannten "intersektionalen Ansatz" untersuchen. Es ist nichts Neues, dass global gesehen Frauen und Mädchen am häufigsten von Menschenhandel betroffen sind, doch wir sollten nicht vorschnell den Fehler machen, Menschenhandel nur auf Geschlecht zu beziehen.

Wurzeln in der US-Bürgerrechtsbewegung

Bereits im 19. Jahrhundert machte die Frauenrechtlerin und Sklavereigegnerin Sojourner Truth aufmerksam auf die unterschiedlichen Realitäten von Frauen in den USA. Nach ihr kamen mehrere herausragende Denkerinnen und Denker der schwarzen Bewegung, die auf die Überschneidungen von Diskriminierungsformen wie rassialisierte (damit gemeint ist ein Prozess der "Rassen"-Konstruktion) Zugehörigkeit, Klasse und Gender aufmerksam machten. Dazu zählen Mitglieder der Bürgerrechtsbewegung Combahee River Collective wie Audre Lorde. Ende der 1980er-Jahre hat die US-amerikanische Juristin Kimberlé Crenshaw den Begriff Intersektionalität geprägt, um die verschiedenen zusammenwirkenden Diskriminierungsformen zu unterscheiden.

Bei diesem Konzept geht es um eine holistische Analyse ineinander verwobener soziokultureller Strukturen und Identitäten. Daraus abgeleitet erkennen wir, dass die Erfahrungen von Betroffenen von Menschenhandel nicht nur mit ihrem Geschlecht zu tun haben, sondern auch mit ihrer Hautfarbe und wie sie als rassialisierte Personen mit rassistischen Strukturen und Denkmustern konfrontiert werden. Ebenso eine Rolle spielt der Zugang (oder der Mangel an Zugang) zu Rechten in einem fremden Land, dessen Sprache man nicht beherrscht.

Ausbeuterische und geschützte Arbeitsverhältnisse existieren nebeneinander

Darüber hinaus ist es wichtig, die historische Entwicklung dieser Diskriminierungsformen zu verstehen. Bleibt dies unbeachtet und rückt hingegen ein sensationalistischer, kriminalistischer oder karitativer Blick in den Mittelpunkt, finden wir uns in einem geschichtlichen Vakuum wieder.

Deshalb gilt es auch in Österreich zuallererst zu verstehen, wie die koloniale Expansion eine globale Ordnung geschaffen hat, innerhalb derer an ein und demselben Ort etwa ausbeuterische Arbeitsbedingungen neben stark geschützten Arbeitsverhältnissen bestehen können. So geht es beim Menschenhandel nicht nur um "böse Täterinnen und Täter" und "naive Opfer", sondern es geht um eine Menschenrechtsverletzung, die tief in der globalen Wirtschaft und Politik verankert ist. Dafür ist es wichtig, den österreichspezifischen Kontext aus mitunter menschenrechtlicher, handels-, arbeits- und migrationsrechtlicher Perspektive zu betrachten, wobei Diskriminierungsmechanismen sektorübergreifend mitgedacht werden müssen.

Ein Beispiel ist etwa eine Hausangestellte, die aus einem Nicht-EU-Land kommt. Sie hat zwar formell Zugang zu Arbeitsrechten, de facto ist sie aber abhängig von ihrem Arbeitgeber, was etwa ihren Aufenthalt im Land betrifft. Außerdem arbeitet sie in einem Bereich, der schwierig zu überprüfen ist und ungern kontrolliert wird: dem Privathaus. Aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Herkunft und ihrer sozialen Schicht erleben diese Menschen häufiger physische und psychische Gewalt.

Auch Arbeiter, etwa auf Baustellen, die theoretisch frei innerhalb Europas reisen dürfen, bleiben oftmals an ausbeuterische Arbeitsbedingungen gebunden, wenn sie Schulden bei den Arbeitgebern haben. Sie nur als "starke" Männer wahrzunehmen, blendet die wirtschaftliche Abhängigkeit und die verletzliche Lage als Migranten komplett aus.

Der 30. Juli ist der internationale Tag gegen den Menschenhandel.
Foto: unsplash/Pham yen

Menschenhandel kein rein "importiertes" Phänomen

Dass Menschenhandel sehr oft von transnationalen Beziehungen geprägt ist, heißt nicht, dass er ein rein importiertes Problem ist. Es ist wichtig, etwa auch die österreichische Beteiligung an industrieller Produktion von Waren im In- und Ausland in den Blick zu nehmen. Eine intersektionale Betrachtung von Menschenhandel kann uns diesbezüglich Auskunft über Herkunftsregionen ebenso wie Transit- und Zielregionen geben.

Eine konkrete Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Formen der Diskriminierung von Personen, die vom Menschenhandel betroffen sind, sagt viel aus aus über die erlebte strukturelle Gewalt sowie die österreichische Gesellschaft und die europäischen Rahmenbedingungen, in die diese Gewalt eingebettet ist. Die sehr unterschiedlichen Auswirkungen der aktuellen Corona-Krise haben deutlich gemacht, wie wichtig es ist, einen differenzierten Blick auf weltumspannende Phänomene zu werfen. (Daniela Paredes Grijalva, 30.7.2020)