In der Serie alles gut? denkt STANDARD-Redakteur Andreas Sator über eine bessere Welt nach – und darüber, welchen Beitrag er leisten kann. Melden Sie sich hier für seinen kostenlosen Newsletter an.

Es ist ein sperriges Konzept, das für die Menschheit aber nicht von größerer Bedeutung sein könnte: Klimasensitivität. Wie sehr erhitzt sich die Erde, wenn die Menge an CO2 in der Atmosphäre von 280 Teilchen pro Million (ppm), so viel gab es vor dem Industriezeitalter, auf 560 steigt? Derzeit stehen wir bei 414 Teilchen pro Million. Einem Forscherteam ist es nun gelungen, genauer zu bestimmen, wie warm es wirklich werden wird. Der Klimaforscher Zeke Hausfather, Klimadirektor der Denkfabrik The Breakthrough Institute, war dabei und ordnet die Erkenntnisse ein.

Forscherinnen und Forscher haben einen genaueren Blick auf den Effekt des Klimawandels geworfen. Wie dieser Fotograf, der Bilder vom ausgetrockneten Dikilitas-Teich in Ankara schießt.
Foto: AFP / Altan

Sie lesen alles gut?, eine Serie, in der ich über eine bessere Welt nachdenke. Melden Sie sich für meinen Newsletter an – ich halte Sie auf dem Laufenden.

STANDARD: Was haben Sie gelernt?

Hausfather: Zwei Dinge. Dass der Klimawandel sehr mild ausfällt, ist weniger wahrscheinlich als gedacht. Es gibt eine sehr, sehr geringe Wahrscheinlichkeit, dass sich die Erde um weniger als zwei Grad erwärmt, wenn sich das CO2 in der Atmosphäre verdoppelt. Gleichzeitig zeigt unsere Studie, dass sehr hohe Erwärmung von über fünf Grad weniger wahrscheinlich ist als gedacht. Über 40 Jahre lang war die beste wissenschaftliche Einschätzung: Wenn wir die Menge an CO2 verdoppeln, gibt es wahrscheinlich ein Plus von 1,5 bis 4,5 Grad. Wir haben das auf 2,3 bis 3,9 Grad eingegrenzt. Das ist aber noch immer grob, man rechnet da mit einer Wahrscheinlichkeit von 66 Prozent. Es gibt noch immer eine Chance von zehn Prozent, dass die Sensitivität bei über fünf Grad liegt. Das ist aber nicht das realistische Szenario.

STANDARD: Mir reicht das als Risiko. Das wäre eine absolute Katastrophe.

Hausfather: Dass wir das nicht ausschließen können, ist Grund zur Sorge, ja. Man braucht aber nicht unbedingt eine hohe Klimasensitivität, damit der Klimawandel ein großes Problem wird. Denn wir können das CO2 in der Atmosphäre auch mehr als verdoppeln – oder weniger. Was wir an Emissionen verursachen, ist bedeutend wichtiger.

STANDARD: 560 ppm wäre eine Verdoppelung. Wo liegen wir?

Hausfather: Wir sind etwa bei der Hälfte, bei 414 ppm. Wenn die Emissionen konstant bleiben, sind wir etwa 2080 bei 560 ppm. Aber zuletzt sind sie wieder gestiegen, dann geht es auch schneller.

STANDARD: Mit welcher Menge rechnen die Paris-Ziele von 1,5 Grad?

Hausfather: Um die Erwärmung unter zwei Grad zu halten, wird bis 2100 mit 430 ppm gerechnet. Da sind sie 2050 aber höher, bei 460 ppm. Wenn zwischen 2050 und 2070 die Emissionen auf null gehen, dann sinkt die CO2-Konzentration nämlich langsam wieder, weil Ozeane und Oberflächen CO2 aufnehmen. Für das 1,5-Grad-Ziel liegt der Wert bis 2100 bei 380 ppm. Da, wo es 2005 war. Das ist sehr, sehr schwer zu erreichen.

STANDARD: Schon die zwei Grad sind sehr, sehr schwer erreichbar, oder?

Hausfather: Das Zwei-Grad-Szenario ist einfacher. Für 1,5 Grad gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder alle globalen Emissionen gehen in zwei Jahrzehnten auf null, was extrem schwer ist, vor allem wenn man an Entwicklungsländer denkt. Oder es braucht bis 2080 oder 2090 drei- bis viermal die Fläche Indiens für Technologien, mit denen man CO2 aus der Atmosphäre bringt. Was auch nicht sehr wahrscheinlich ist. Für zwei Grad haben wir 40 Jahre, um auf die Nettonull zu kommen. Das ist von heute aus gesehen einfacher. Derzeit sind wir auf dem Weg zu drei Grad. Aber die Kurve von drei auf zwei zu bekommen ist einfacher als auf 1,5. Zwei Grad ist schwer, aber möglich.

STANDARD: Warum lässt sich nach 40 Jahren Forschung noch immer nicht genauer eingrenzen, wie stark das Klima auf CO2 reagiert?

Hausfather: Die Erde ist sehr komplex, und es gibt leider nirgends ein paar Extraplaneten, auf denen wir Experimente machen könnten. Wir müssen die Erde also modellieren, und wir verstehen noch nicht alles. Simple Physik sagt uns, dass, wenn wir alles andere konstant halten, doppelt so viel CO2 zu etwas mehr als einem Grad Erwärmung führt. Es bleibt aber nicht alles andere konstant.

STANDARD: Was ändert sich?

Hausfather: Je wärmer es wird, desto mehr Wasserdampf ist in der Atmosphäre. Der ist ein starkes Treibhausgas, bleibt aber nicht so lange in der Atmosphäre. Eis und Schnee schmelzen, die zuvor Sonnenlicht reflektiert und so gekühlt haben. Am schwierigsten ist zu verstehen, was mit Wolken und Aerosolen passiert. Niedrigere Wolken reflektieren mehr Strahlung zurück ins All. Höhere Wolken fangen die Strahlen in der Atmosphäre ein. Wie sich der Mix ändert, wissen wir nicht genau. Das sorgt für Unsicherheit. Auch kleine Partikelchen, etwa Schwefel, spielen eine wichtige Rolle für die Formierung von Wolken. Wenn wir die Erde weniger verschmutzen, gibt es weniger dieser Teilchen – und wir wissen noch nicht genau, was das für einen Effekt haben wird.

STANDARD: Manche sagen, der Klimawandel ist eine existenzielle Gefahr für die Menschheit. Sie wirken da immer optimistischer. Warum?

Hausfather: Wenn die Emissionen weiter steigen, vor allem wenn wir mehr Kohle verbrennen, schaffen wir Risiken für extrem katastrophale Folgen, die die menschliche Zivilisation, wie wir sie kennen, in Gefahr bringen. Ich glaube aber, dass so eine Welt viel unwahrscheinlicher ist als noch vor einem Jahrzehnt.

STANDARD: Warum?

Hausfather: Weil einige große Länder zumindest einige Maßnahmen gesetzt haben. Die Nutzung von Kohle, der klimaschädlichsten Energieform, sinkt seit 2013. Saubere Energien sind sehr billig geworden. Es gibt noch viel zu tun, um die Wirtschaft zu dekarbonisieren, aber ich erwarte, dass die Emissionen ziemlich konstant bleiben oder nur leicht steigen. Es ist möglich, dass sich das wieder ändert, wenn Trump wiedergewählt wird und er den Menschen Geld dafür gibt, Kohle zu verbrennen, oder ein Kalter Krieg mit China ausbricht, der den technologischen Fortschritt verlangsamt. Ich glaube aber nicht, dass wir auf diesem Weg sind. Ich persönlich gehe unabhängig von unserer Studie davon aus, dass wir bis 2100 zwei bis 4,5 Grad mehr haben werden. Das ist potenziell katastrophal, vor allem Richtung 4,5 Grad.

STANDARD: Aber?

Hausfather: Aber wie katastrophal das wird, hängt von der Resilienz von Gesellschaften ab. In einer ungleichen Welt, in der viele keinen Zugang zu Technologien haben, um sich an das Klima anzupassen, gibt es mehr existenzielle Gefahren. In einer Welt, die wohlhabender und gleicher ist, weniger. In Bangladesch sind 1970 noch 50.000 Menschen an den Auswirkungen von Zyklonen gestorben. Heute ein paar hundert. Das sind noch immer zu viele, aber es ist viel weniger. Das liegt daran, dass es Frühwarnsysteme, Alarme, Evakuierungspläne gibt – und so weiter. Ich sehe den Klimawandel mehr als einen Multiplikator bestehender existenzieller Risiken als ein existenzielles Risiko an sich. Länder mit schwachen Institutionen und hoher Ungleichheit könnte das über den Rand stoßen und so zu katastrophalen Konflikten führen.

STANDARD: Und die Umwelt?

Hausfather: Für die Natur ist die Situation sehr anders. Sie kann sich in der kurzen Zeit viel weniger anpassen als Menschen. Selbst eine Drei-Grad-Welt wäre katastrophal für viele Ökosysteme, für den Amazonas-Regenwald, die Arktis, Borealwälder et cetera. Wir wursteln uns in eine Welt, die sehr gefährlich ist für Mensch und Natur, aber wohl nicht das Ende der Welt. Es gibt trotzdem das Risiko für eine totale Katastrophe, wenn die Welt nicht mehr macht, um Emissionen zu senken.

Wenn Ihnen der Beitrag gefallen hat, melden Sie sich für den Newsletter an. Ich schreibe Ihnen, wenn im Rahmen der Serie ein neuer erscheint. (Andreas Sator, 3.8.2020)