Drago Jančar, Autor der Vielfalt.

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Er gilt als bedeutendster zeitgenössischer Autor Sloweniens: Drago Jančar. In seinen Büchern wie zuletzt Wenn die Liebe ruht (Zsolnay) beschäftigt er sich mit der Geschichte seines Landes zur Zeit der Nazi-Okkupation und der frühen Tito-Diktatur. Sein Fokus liegt dabei auf Individuen. Dafür erhält er am Montag in Salzburg den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur. "Ohne Widerrede bleibt jedes Bild in der Tendenz totalitär", heißt es in der Begründung.

STANDARD: Sie sind 1948 in Maribor geboren. Ihr Vater war im Krieg als Helfer der Befreier von den Nationalsozialisten inhaftiert. Hat Sie das politisiert?

Jančar: Damals wurde viel über Politik gesprochen. Sie war in Zeitungen, in der Schule, im Radio, es gab Filmwochenschauen, in denen Tito in Marschalluniform bei Kundgebungen sprach und durch Fabriken lief. Andererseits geschah es nachts in der Küche, besonders wenn vor den Männern eine Flasche Wein auf dem Tisch stand. Ich habe oft Gespräche zwischen meinem Vater und seinen Kameraden gehört. Das waren für Kinderohren Gruselgeschichten, aber auch Selbstlob über Widerstand und Mut. Oft fragten sie bitter: Haben wir dafür gekämpft?

STANDARD: Lange war dieses Thema dennoch voller Mythen und Tabus …

Jančar: Erst nach 1990 begann sich das zu ändern, wozu auch die Literatur beigetragen hat. Ich bin Menschen begegnet, die mich wie eine ansteckende Person gemieden haben, sowie solchen, die im Stillen zu mir gehalten haben. Nur manche haben offen mit mir sympathisiert. Ich habe als Autor aber nicht das Bedürfnis, das Geschichtsbild zu ändern.

STANDARD: Rührt nicht die Vielfalt an Perspektiven in Ihrem Werk daher?

Jančar: Auch Idealismus kann einen mit Ignoranz gegenüber Ideen und menschlichem Leiden schlagen, ja. Ich habe aber kein literarisches Programm. Im Zentrum steht die Leidenschaft fürs Erzählen. Meine Literatur interessiert sich für das, was mit Menschen passiert, die am Rande von historischen Ereignissen stehen. Denn auch in Umwälzungen leben sie mit je eigenen Ängsten und Hoffnungen, ihrem Überlebenswillen. Mich beschäftigt die Frage nach Gut und Böse. Vielleicht erinnert Literatur daran, dass menschliches Leben wichtiger ist als Menschenmengen, die von großen Ideen berauscht sind.

STANDARD: Sie haben aber selbst Aufsätze etwa zur Diktatur verfasst. 1974 wurden Sie mit 26 Jahren wegen "feindlicher Propaganda" inhaftiert ...

Jančar: Ich habe das aber ganz gut ertragen, im Gefängnis interessante Leute getroffen. Dort begann ich auch den Galeerensträfling zu schreiben. Darin ging es mir um die Widerstandskraft von Menschen unter widrigsten Bedingungen. Ich bin dadurch selbst viel Wut und Gedanken losgeworden, die einen vergiften.

STANDARD: Slowenien ist ein kleiner Sprachraum, wie wichtig ist da internationale Anerkennung als Autor?

Jančar: In allen sogenannten kleinen Nationen gibt es eine Skepsis gegenüber ihren Schriftstellern. Aber wenn man im Ausland Erfolg hat, heißt es: Nun ja, vielleicht ist er wirklich gut. Das Modell des Autors, der eine politische und moralische Autorität ist, ist aber trotzdem passé. Im Zeitalter des Internets reden alle, und nur wenige hören zu.

STANDARD: Was bedeutet für Sie der Begriff "Europäische Literatur"?

Jančar: Ich sehe sie als einen Chor, der uns über Erfahrungen berichtet. Meine Stimme ist nur eine darin. Ich habe einige Freunde in der österreichischen Literaturszene, dadurch ist mir das Land nahe. Einige ihrer Bücher habe ich mithilfe von Wörterbüchern auch im Original gelesen.

STANDARD: Wie sehen Sie Europa vor dem Hintergrund der Geschichte?

Jančar: Die Anzeichen sind heute ernster als zuletzt. Ich denke aber, es gibt nur sehr wenige Menschen, die diese streitsüchtige, doch sonst immer noch glückliche Familie aufgeben würden. Ich habe in allen Teilen Ex-Jugoslawiens Freunde, die über die soziale und wirtschaftliche Lage verzweifelt sind. Diese latente Konfliktzone voller innerer Spannungen sollte so bald als möglich und intensiv integriert werden. (Michael Wurmitzer, 31.7.2020)