Jürgen Brandstätter ist Gründungsmitglied und Sprecher des Vorstands des Vereins zur Förderung der Integration der IT- und Medizintechnik im österreichischen Gesundheitswesen (IHE Austria).
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Auch bei den Spitalsaufnahmen war der Informationsaustausch nicht optimal, sagt Experte Brandstätter.
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STANDARD: Ihr Verein will einheitliche Datenstandards im Gesundheitswesen umsetzen. Was bedeutet das?

Brandstätter: In Arztpraxen oder Spitälern gibt es bei medizinischen Daten oft Normen und Standards, doch sie werden unterschiedlich verwendet. Wir sehen uns an, welche es gibt und wie sie eingesetzt werden. Ein Beispiel waren etwa Entlassungsbriefe vor Einführung der elektronischen Gesundheitsakte (Elga). Das wurde österreichweit von Krankenhaus zu Krankenhaus unterschiedlich gehandhabt. Seit es Elga gibt, sind diese Dokumente standardisiert.

STANDARD: Um welche Daten geht es?

Brandstätter: Neben den Entlassungsbriefen sind das etwa der Befundaustausch unter Ärzten und einige weitere Anwendungen der Elga, die auch jetzt während der Corona-Krise im Einsatz waren oder in Zukunft eine größere Rolle spielen könnten. Etwa die E-Medikation, die während der Krise als digitales Rezept verwendet wurde und ermöglichte, kontaktlos den Arzt aufzusuchen. Auch Intensivbetten sind derzeit ein großes Thema. Es ist wichtig zu wissen, wo welche Kapazitäten frei sind. Auch der geplante digitale Impfpass: Damit haben wir in Zukunft eine sichere App, die anzeigen kann, ob jemand gegen das neue Coronavirus geimpft ist.

STANDARD: Wann kommt er?

Brandstätter: Der Pilotbetrieb soll im Herbst starten. Er sollte jetzt aber zügig und flächendeckend ausgerollt werden. Unser Kritikpunkt ist, dass Österreich zwar einen richtigen Weg geht und Standards nutzt, nur leider geht das alles sehr langsam. Elga ist seit 2006 in Entwicklung, jetzt haben wir das Jahr 2020. Immer wieder gab es Verzögerungen verschiedenster Art, meist politischer Natur. Zum Beispiel in den Verhandlungen über Finanzierungen. Wir hätten das alles schon viel früher haben können, das fällt uns mit der Krise jetzt auf den Kopf.

STANDARD: Zum Beispiel, dass im März nicht klar war, wo es wie viele Intensivbetten gibt?

Brandstätter: Ja. Diese Information war elektronisch zwar vorhanden, allerdings nicht in standardisierter Form und für diese Situation, in der ein schneller Austausch essenziell ist, ausgelegt. In einer Krise müssen all diese Informationen in der Sekunde online vorliegen. Darüber hinaus gab es Skalierungsprobleme. Auch bei den Spitalsaufnahmen war der Austausch nicht optimal. Wo sind Covid-Patienten aufgenommen worden, wie alt sind sie, und welches Geschlecht haben sie? All das wusste man zwar, es konnte aber nicht elektronisch – und damit schnell – übermittelt werden. Und das, obwohl das wichtige Informationen sind, nicht nur für das Dashboard des Sozialministeriums, auch für die wissenschaftliche Bearbeitung. Hier mussten teilweise massive und kostspielige Workarounds, also Behelfslösungen, angewendet werden.

STANDARD: Was genau macht Ihr Verein?

Brandstätter: Wir sehen uns die Prozesse an, wie sie in unterschiedlichen Spitälern und Arztpraxen zum Einsatz kommen, bei denen mehrere Systeme miteinander kommunizieren – und dann vergleichen wir, welche Gemeinsamkeiten es gibt. Oft sind die Zugänge sehr ähnlich, selbst weltweit. Dafür bringen wir die Anwender und Hersteller von IT-Systemen im Gesundheitssystem zusammen, um die Standardisierung voranzutreiben.

STANDARD: Und wie geht es dann weiter?

Brandstätter: Wir stellen für jeden Anwendungsfall bestehende Standards zu Entwicklungsleitfäden, sogenannte Profile, zusammen und stellen sie den Softwareherstellern frei zur Verfügung. Dann geht es darum, diese Profile auch bei den Anwendern bekannt zu machen, sodass viele Gesundheitseinrichtungen sie nutzen. Das Ganze zusammen führt dann zu einer standardisierten Lösung dieses Anwendungsfalls. Wichtig ist, dass damit nicht ein bestimmtes Produkt gemeint ist, sondern die Art, wie die einzelnen Produkte miteinander kommunizieren, nämlich alle gleich. Dadurch werden sie austauschbar. Uns ist wichtig, dass es keine Einheitslösung gibt, sondern viele Hersteller und einen kompetitiven Markt, denn das schafft Kostenersparnis und Nachhaltigkeit.

STANDARD: Gibt es ein Bewusstsein dafür, dass Standards sinnvoll sind?

Brandstätter: Teilweise. Ein positives Beispiel ist die elektronische Gesundheitsakte Elga, sie basiert auf Standards von IHE. Hier ist das Bewusstsein schon absolut gegeben. Der Bund und die Länder haben gesehen, dass es wichtig ist, dass es einen einheitlichen Zugang gibt. Der Vorteil ist, dass Elga dadurch auch mit den Systemen anderer Länder kompatibel ist, wenn diese dieselbe Technologie nutzen. Wir sehen schon die Akzeptanz, dass neue Applikationen, die national gelten, immer auf internationale Standards zurückgreifen sollten, um die Nachhaltigkeit der Unternehmung sicherzustellen. Dennoch braucht es auf der politischen Ebene noch viel mehr Bewusstsein dafür.

STANDARD: Und bei kleineren Akteuren?

Brandstätter: Im einzelnen Spital hängt es vom Entscheidungsträger vor Ort ab, welche Anwendungen zum Einsatz kommen. Wir empfehlen generell, Standards zu berücksichtigen, weil das auch Kosten spart. Wir können aber leider nicht alle erreichen.

STANDARD: Was sind Ihre aktuellen Forderungen?

Brandstätter: Es wird vielleicht eine zweite Welle oder ein nächster Virus kommen. Jetzt, wo sich die Situation etwas entspannt hat, muss Zeit und Geld in die Hand genommen werden, um einheitliche Standards einzuführen. Und wir können jetzt aus der ersten Welle lernen. Der Krisenstab kann sich überlegen: Was hat in der Krise gefehlt? Wenn diese Anwendungsfälle identifiziert und nach Priorität geordnet sind, können wir aktiv in die Standardisierung einsteigen. Ebenso sollte aus der aktuellen Situation heraus mehr in Richtung der europaweiten – oder besser noch: globalen – Standardisierung der nationalen Anwendungen im Gesundheitswesen gearbeitet werden.

STANDARD: Wie kann das auf internationaler Ebene gelingen?

Brandstätter: In Europa etwa über das E-Health-Network, in dem alle Mitgliedsstaaten vertreten sind. Es wurde beispielsweise eine Spezifikation für eine Corona-Tracking-App entwickelt, damit diese in allen Ländern gleich funktioniert. International gibt es natürlich Standardisierungsorganisationen wie IHE, aber ebenfalls auch multilaterale Initiativen wie zum Beispiel die Global Digital Health Partnership, in der auch Österreich vertreten ist. Natürlich sind Zusammenschlüsse auf globaler Ebene schwieriger zu erreichen, wir sehen aber auch hier schon einen dementsprechenden Trend. (Bernadette Redl, 7.8.2020)