Bojko Borissov soll gehen, finden die Demonstrierenden.

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Weder die Hitze noch das Virus hält sie auf. Am Mittwoch blockierten Demonstranten mit Zeltlagern den Verkehr an zwei Straßenkreuzungen in Sofia. Der Bildhauer Velislav Minekov, der Anwalt Nikolai Hadjigenov und der PR-Mann Arman Babikan – von nicht so wohlmeinenden Mitbürgern das "giftige Trio" genannt – haben die neuen Protestformen umgesetzt. Seit mehr als drei Wochen gehen vor allem junge und gebildete Bulgaren auf die Straße und fordern, dass das Recht für alle gelten solle und dass diejenigen, die reich und einflussreich sind, nicht mehr privilegiert behandelt werden sollen.

Denn dies ist leider der Alltag in Bulgarien. Die Proteste begannen, weil der Oligarch Ahmed Dogan Leute, die einen öffentlichen Strand in der Nähe seiner Villa am Schwarzen Meer besuchten, einfach durch die Polizei verjagen ließ. Dies zeigte exemplarisch, dass in Bulgarien manche über dem Gesetz stehen und gleichzeitig den Bürgern ihre Rechte entzogen werden.

Razzia beim Staatschef

Ein zweites Ereignis sorgte für zusätzlichen Zorn: Nachdem Staatspräsident Rumen Radev sich auf die Seite der Demonstranten gestellt hatte, veranlasste die Staatsanwaltschaft eine Razzia in seinem Büro; ein Sekretär und ein Berater des Präsidenten wurden festgenommen. Die Kritik fokussiert sich auch auf Generalstaatsanwalt Ivan Gešev, dessen Ernennung im Vorjahr für viel Aufruhr gesorgt hatte. Denn Gešev gilt als verlängerter Arm von Oligarchen, etwa des Medienmoguls Delyan Peevski, dem die größten Zeitungen des Landes gehören.

Die Politikanalystin Adelina Marini von der Plattform euinside meint, dass vor allem das Auftreten der neuen Oppositionspartei "Ja Bulgarien" den Protesten eine andere Dynamik gegeben habe. Die Partei selbst ist nur marginal im Parlament vertreten, bei den aktuellen Protesten handelt es sich demnach eher um eine außerparlamentarische Rebellion durch das Aufdecken von korrupten Praktiken.

"Ja, Bulgarien" könne durch die Proteste zu einer echten Oppositionskraft werden, meint Marini. Denn die Sozialisten gelten für liberale und prowestlich ausgerichtete Bulgaren nicht als Alternative zu der regierenden nationalkonservativen GERB unter Premier Bojko Borissov.

Dabei geht es gar nicht so sehr um einen Machtwechsel, sondern um Reformen. "In den letzten 30 Jahren gab es keinen politischen Willen, tatsächlich Rechtsstaatlichkeit aufzubauen. Es gab nur kosmetische Aktivitäten, die darauf abzielten, einen guten Bericht der Europäischen Kommission im Rahmen des Kooperations- und Kontrollverfahrens zu erhalten", so Marini.

Bereits im Jahr 2013 gab es in Bulgarien Demonstrationen gegen die Unterwanderung des Staates durch Interessen von Parteien oder Oligarchen. Damals scheiterte die Bewegung vor allem daran, dass Medienmogul Peevski eine Schmierkampagne gegen die Demonstranten führte. So wurde etwa, analog zu Ungarn, behauptet, die Demonstranten seien von dem Milliardär und Philanthropen George Soros bezahlt.

Desinformationskampagne

"Eine ähnliche Kampagne läuft auch bei dem jetzigen Protest", erklärt Marini. "Es gibt erneut Behauptungen, dass Demonstranten von ausländischen Mächten, etwa Russland, bezahlt werden und dass die Proteste prokommunistisch und marktfeindlich sind. Es wird also die gleiche Technik der vollständigen Desinformation angewendet", so Marini zum STANDARD.

Im Unterschied zu 2013 nutzen viele Demonstranten diesmal allerdings nichttraditionelle Medien und seien daher nicht der Peevski-Propaganda ausgesetzt. Wie sehr die regierende GERB, die zur Europäischen Volkspartei gehört, unter Druck ist, offenbarte auch ein PR-Vertreter der Partei im Europäischen Parlament, der an den STANDARD mit der Anfrage herantrat, ob "es möglich sei, die Online-Version" eines Kommentars zu Bulgarien "irgendwie zu bearbeiten".

In Bulgarien gibt es auch Bürger, die mit den Demos keine Freude haben, weil sie wegen der Straßenblockaden nicht weiterfahren können. Unterdessen ist der Regierung auch das Management der Covid-19-Krise entglitten. Das Abstandhalten wird nur unzureichend umgesetzt, Menschen, die Masken tragen, werden zuweilen als "Feiglinge" oder "Schwule" beschimpft. (Adelheid Wölfl, 30.7.2020)