Michelle Obama werden auch eigene politische Ambitionen nachgesagt. Ihr neuer Podcast gibt sich unpolitisch – und ist es doch keineswegs.

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Als Michelle Robinson in Chicago heranwuchs, war es schon ein kleiner Luxus, wenn ihr die Eltern sonntags ein Waffeleis kauften. Fragte sie dann, ob stattdessen vielleicht ein Eisbecher mit Erdbeeren drin wäre, bestand die Antwort in hochgezogenen Augenbrauen und einem strengen "Never satisfied!". Sollte heißen, dass sie offenbar mit nichts zufrieden sei, dass sie immer mehr wolle, rein materiell gesehen.

Mit dem "Never satisfied!", erzählt die erste schwarze First Lady in der Geschichte der Vereinigten Staaten, sei sie groß geworden. In einem Elternhaus, das auf die Bildung der Kinder entschieden mehr Wert legte als auf materiellen Besitz, weshalb es ihr Vater, beschäftigt bei den städtischen Wasserwerken, immer abgelehnt habe, ein Eigenheim zu kaufen. Was man sparen konnte, sollte für die Zeit zurückgelegt werden, in der Tochter und Sohn – hoffentlich – an einem College studieren würden. Die Mutter wiederum handelte nach dem Grundsatz, dass man nicht in einem Vakuum lebe, sondern in einer Gemeinschaft von Menschen, um die man sich zu kümmern habe.

Vermögen und Immaterielles

Leute, denkt auch an die anderen! Es ist der rote Faden, der sich durch einen Podcast zieht, mit dem sich Michelle Obama in den Wahlkampf einmischt, ohne den Wahlkampf auch nur zu erwähnen. Weder von Donald Trump noch von Joe Biden war bei der Premiere die Rede. Es sollte, so hatte es die 56-Jährige vorab angekündigt, um zwischenmenschliche Beziehungen gehen, um den Wert derselben, um ehrliche Gespräche darüber. Demnächst sind Bruder Craig, Mutter Marian und die Comedy-Ikone Conan O'Brien an der Reihe. Den Anfang aber machte, wie konnte es anders sein, Gatte Barack. Der Yes-we-can-Man, wie ihn seine Frau mit leisem Spott nennt, der unverbesserliche Optimist, der unbeirrt an das Gute glaube.

Beide, Michelle wie Barack, haben nach acht Jahren im Weißen Haus ein Vermögen gescheffelt, weshalb es Zeitgenossen gibt, die es für heuchlerisch halten, dass ausgerechnet sie den Charme immateriellen Reichtums beschwören. Erst stürmte die First Lady mit ihrem Memoirenband "Becoming" an die Spitze der Bestsellerlisten. Als Nächstes redete sie über das Buch, man musste fürstliche Eintrittspreise berappen, um in großen Hallen angeblich intime Gespräche live erleben zu können. Und parallel dazu ließ sie einen Dokumentarfilm über die Buchtour drehen. Das volle, blendend bezahlte Programm. Ihrer neunteiligen Podcast-Reihe wiederum liegt ein lukrativer Deal zwischen dem Streaming-Riesen Spotify und Higher Ground, der Filmproduktionsfirma des Ehepaars Obama, zugrunde.

Wut über Wertewandel

Egal, da Amerika den Neid auf den Erfolg von Erfolgreichen nicht wirklich kennt, hält sich die Kritik an vermeintlicher Scheinheiligkeit in engen Grenzen. Und als begnadete Geschichtenerzähler sind die Obamas viel zu locker, als dass auch nur der Gedanke an den schulmeisterlich erhobenen Zeigefinger aufkommen könnte. Jedenfalls beklagten beide zum Auftakt jenes "Ich, ich, ich", das die amerikanische Gesellschaft heute so präge. Vorbild sei nicht mehr, wer bereit sei, fürs Gemeinwohl Opfer zu bringen, bedauerte Michelle. "Du musst zeigen, dass du alles hast, eine Karriere, einen Haufen Geld. Wenn nicht, stimmt mit dir irgendwas nicht." Worauf ihr Ehemann – untypisch pessimistisch – von einem unbarmherzigen Wettlauf sprach: "Ständig fragen wir uns nervös, auf welchem Platz in der Hackordnung wir liegen." Auch in der Politik spiegele er sich zwangsläufig wider, dieser auf die Spitze getriebene Individualismus. "Die eine Seite sagt, das Problem sind die anderen. Hindert die anderen nur daran, euch euren Besitz wegzunehmen."

Noch vor vierzig Jahren hätten andere Werte gegolten – Teamgeist, Sich-Einbringen, Teilen. Dahin gelte es zurückzukehren, zumal es ja viel mehr Spaß mache, ein Leben im Wir-Gefühl zu leben. Dass die Corona-Epidemie zwischen Los Angeles und Miami auch deshalb so wütet, weil zu viele glauben, keine Rücksicht auf andere nehmen, sich an keinerlei Regeln halten zu müssen, spießt der Altpräsident auf die elegante Tour auf. Ohne die Moralkeule zu schwingen. Und Trumps Krisenmanagement? "Wozu man eine Regierung braucht, merken die Leute erst, wenn die Regierung nicht funktioniert. So wie jetzt." (Frank Herrmann aus Washington, 30.7.2020)