Die großen Sarsensteine von Stonehenge stammen aus 25 Kilometern Entfernung.
Foto: Andre Pattenden/English Heritage

Das neolithische Wunder Stonehenge in Südengland hat Historiker und Archäologen seit Jahrhunderten beschäftigt: Wie wurde es errichtet? Welchem Zweck diente es einst? Woher kamen die gewaltigen Sandsteinblöcke? Zumindest auf die letzte Frage könnte nun endlich eine Antwort gefunden worden sein: Wie ein britisches Forscherteam herausgefunden hat, haben die meisten der bis zu neun Meter hohen Sarsensteine einen gemeinsamen Ursprung im 25 Kilometern entfernten West Woods, einem Gebiet voller prähistorischer Funde.

Die chemische Zusammensetzung der Gesteine bestätigt die These, dass alle Megalithe etwa zur selben Zeit nach Stonehenge transportiert worden waren: um 2.500 vor unserer Zeitrechnung, also während der zweite Bauphase des Monuments. Diese Erkenntnis spricht nach Ansicht der Forscher dafür, dass die Erbauer von Stonehenge einer hoch organisierten Gesellschaft entstammten. Die im Fachmagazin "Science Advances" präsentierte Studie widerspricht auch der früheren Vermutung, dass ein als "Fersenstein" bekannter Megalith aus der unmittelbaren Umgebung des Ortes stammt und noch vor den anderen Steinen aufgestellt worden war.

Röntgen und Bohrproben

Eine eigens entwickelte Technik ermöglichte dem Team um David Nash von der Universität von Brighton eine exakte chemische Analyse der Felsen. Dafür verwendeten sie zunächst tragbare Röntgengeräte. Die Untersuchung mit diesen ergab, dass die Megalithe zu 99 Prozent aus Kieselerde bestehen, aber auch Spuren mehrerer anderer Elemente enthalten. "Das zeigte uns, dass die meisten Steine eine gemeinsame Zusammensetzung haben", sagte Nash. Das wiederum habe zur Erkenntnis geführt, dass "wir nach einer Hauptquelle der Steine suchen".

Der Ursprung der Megalithe von Stonehenge.
Grafik: Science Advances/AFP

Als Nächstes untersuchten die Forscher zwei Kernproben von einem der Steine, die während der Restaurierungsarbeiten im Jahr 1958 gewonnen worden waren, aber lange Zeit als verschollen galten, ehe sie 2018 und 2019 wieder aufgetaucht sind. Die tiefergehende Analyse dieser Proben mit einem Massenspektrometer erfasste einen deutlich größeren Bereich von Elementen mit höherer Präzision.

350 Jahre alte Vermutung

Das Resultat wurde schließlich mit 20 möglichen Herkunftsorten der Steine verglichen, was zutage brachte, dass die Stonehenge-Megalithe wohl aus West Woods, Wiltshire, stammen. Auf einen ähnlichen Zusammenhang zwischen Stonehenge und "Overton Wood", wahrscheinlich einem früheren Namen für West Woods, hat im 17. Jahrhundert schon der britischer Altertumsforscher John Aubrey hingewiesen.

Frühere Arbeiten hatten bereits ergeben, dass die kleineren, sogenannten "Blausteine" von Stonehenge aus Wales stammen, etwa 200 Kilometer westlich der Salisbury Plain. Die neuen Ergebnisse untermauern die Hypothese, dass die großen Felssteine zur gleichen Zeit nach Stonehenge gebracht wurden. "Es muss also zu dieser Zeit ein enormes Unterfangen gewesen sein, die bis zu 30 Tonnen schweren Megalithe herbeizuschaffen", sagte Nash. "Stonehenge ist wie eine Zusammenführung von Materialien, die von verschiedenen Orten gebracht werden."

Plan von Stonehenge mit der seit dem 19. Jahrhundert gebräuchlichen Nummerierung der Steine.
Grafik: David Nash/University of Brighton

Gut organisierte neolithische Gesellschaft

Wie genau die Menschen damals die riesigen Felsbrocken über eine Entfernung von 25 Kilometern transportieren konnten, ist bis heute unklar. Fachleute vermuten aber, dass hölzernen Schlitten, Rundhölzer und jede Menge Seile zum Einsatz kamen. "Das alles weist jedenfalls darauf hin, dass man es hier mit einer sehr gut organisierten Gesellschaft zu tun", so Nash.

Warum man sich damals für West Woods als Quelle der Sarsensteine entschieden hatte, könnte reiner Pragmatismus gewesen sein, vermuten die Wissenschafter. Wahrscheinlich war es der nächstgelegene Ort für derartiges Baumaterial. Laut Nash und seinen Kollegen könnte die neu entwickelte Technik auch dabei helfen, weitere archäologische Fragen zu beantworten, beispielsweise auf welcher Route die Felsbrocken transportiert wurden. (tberg, 2.8.2020)