Die Verfassungsrichter haben zuletzt zwei türkis-grüne Corona-Verordnungen aufgehoben. Nun wackelt auch die teilweise Maskenpflicht

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Wer derzeit in den Supermarkt geht, zur Bank will oder in der Post einen Brief aufgibt, muss dabei Maske tragen. Auch beim Greißler und in der Tankstelle sollen Mund und Nase bedeckt werden. Wenn man sich hingegen ein T-Shirt kauft oder essen geht, kann die Schutzmaske in der Tasche bleiben. So sieht es die aktuelle Verordnung des Gesundheitsministeriums vor.

Zuletzt sind mehrere Rechtsakte der türkis-grünen Regierung schwer kritisiert worden. Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat zwei Corona-Verordnungen für gesetzwidrig befunden. Der ehemalige Höchstrichter Rudolf Müller und der Verfassungsjurist Heinz Mayer erklärten am Freitag im STANDARD: Auch die aktuell gültige Maskenverordnung dürfte gesetzwidrig sein.

Daraufhin meldeten sich am Samstag im Ö1-"Mittagsjournal" mit Theo Öhlinger und Bernd-Christian Funk zwei weitere renommierte Verfassungsjuristen zu Wort. Ihnen scheint eine Akzeptanz der Regelung durch den VfGH möglich, ebensogut sei aber eine Aufhebung der Verordnung denkbar. Der grüne Gesundheitsminister Rudolf Anschober, der die umstrittene Verordnung unterschrieben hatte, rückte am Samstag zur Verteidigung seiner Regelung aus.

Fest steht: Die Schutzmaskenpflicht sorgt nicht nur für Debatten im Freundeskreis. Sie wird auch bereits beim VfGH angefochten, wie eine Nachfrage des STANDARD ergab. Somit könnte die neue Maskenverordnung schon bald auf dem Tisch der vierzehn Verfassungsrichter landen. Die "endgültige Antwort wird vom VfGH zu geben sein" meint der Jurist Funk.

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Begründung fehlt

Einigkeit herrscht bei allen Rechtsexperten darüber, dass die Unterscheidung zwischen Geschäftstypen hinsichtlich der Maskenpflicht inhaltlich gut begründet werden muss, um tragfähig zu sein. Der ehemalige Verfassungsrichter Rudolf Müller sieht dieses Kriterium durch die Verordnung nicht erfüllt: "Die Differenzierung zwischen Lebensmittelhandel und anderem Handel müsste eine sachliche Grundlage haben. Doch da wie dort kommen Menschen auf engem Raum zusammen. Wieso die Regelung in einem Geschäft gilt und im anderen nicht, scheint mir sachlich nicht gerechtfertigt." Wenn es sich ausschließlich um einen politischen Kompromiss mit der Wirtschaftskammer handle, wird auch diese Verordnung wieder gekippt werden, ist der Experte überzeugt.

Ähnlich sieht das der Verfassungsjurist Heinz Mayer. Auch er kann keine triftige Begründung erkennen, die der Differenzierung zwischen Geschäftstypen zugrunde liegt. Dabei hat der VfGH in seinem jüngsten Erkenntnis explizit gefordert, dass das Ministerium derartige Ungleichbehandlungen transparent begründen und seine Informationsbasis darlegen muss. Eine vom VfGH aufgehobene Regelung hatte etwa Gartencenter gegenüber anderen großen Geschäften – ohne nachvollziehbaren Grund – bevorzugt.

Unterscheidung "nicht ganz unplausibel"

Im Gesundheitsministerium entgegnet man, dass es sehr wohl eine inhaltliche Rechtfertigung für die partielle Maskenpflicht gebe. Wie die Regierung auch in Pressekonferenzen kommuniziert habe, sei die Maskenpflicht auf jene Geschäfte zugeschneidert worden, die für Risikogruppen zum Einkaufen lebensnotwendig seien, wie eben Supermärkte. Der Jurist Theo Öhlinger hält dieses Unterscheidungskriterium für "nicht ganz unplausibel", wie er im Ö1- "Mittagsjournal" sagte. Ob das aber für den VfGH ausreiche, sei eine Wertungsfrage, er wolle sich da nicht festlegen.

Empirische Belege gefordert

Der Rechtsanwalt Florian Horn kann der Kategorisierung von Geschäften durch die Regierung wenig abgewinnen. Die Maskenpflicht gelte nämlich auch in Lebensmittelgeschäften, die bloß Delikatessen verkaufen; umgekehrt gelte sie in anderen Geschäften nicht, deren Waren auch für den Lebensbedarf notwendig sein können. Jedenfalls aber fehle es an dokumentierter Evidenz, um die Bestimmung zu untermauern. "Idealerweise sollte es einen Akt des Ministeriums geben, in dem die Gründe und Abwägungen klar angeführt werden", meint Horn. Auch Rechtsprofessor Bernd-Christian Funk sieht das Ministerium in der Pflicht, die Entscheidung mit empirischen Belegen zu fundieren, um den VfGH von der Zulässigkeit zu überzeugen.

Online-Handel als Ersatzangebot für Risikogruppen

Am Freitagabend reichte das Gesundheitsministerium dem STANDARD ein internes Papier nach, das die Verordnung argumentativ stützen soll.* Autor des zweiseitigen "kurzen Fachgutachtens" ist der Infektiologe Herwig Kollaritsch, der seit Beginn der Pandemie in der Corona-Taskforce von Gesundheitsminister Anschober sitzt. Dieser ließ am Samstag per Aussendung wissen, dass das Gutachten "vom allergrößten Teil der Virologen geteilt und unterstützt" werde und die neue Maskenpflicht demnach fachlich gerechtfertigt sei.

Kollaritsch empfiehlt, die Maske aus Verantwortung für andere generell bei Menschenansammlungen in Innenräumen zu tragen. Eine zwangsweise Anordnung hält er aber nur in jenen Bereichen geboten, "deren Besuch auch für Risikopersonen ein nahezu unvermeidbares Muss darstellt". In Geschäften, in die man auch zu "frequenzarmen Zeiten" kommen könne oder deren Angebote durch Online-Lieferdienste gut ersetzbar seien, müsse man hingegen kein Maskentragen erzwingen, meint Kollaritsch – nicht ohne eine "gewisse Unschärfe" in dieser Unterteilung einzuräumen.

Anschober: "Nicht verwirren lassen"

Während Anschobers gesundheitspolitischer Berater die Verordnung also für sinnvoll hält, sind Rechtsexperten von der legistischen Arbeit in dessen Ressort keineswegs angetan. Schon im April hatte Anschober eine Beraterrunde geladen, um der wachsenden Kritik an der Schludrigkeit seines Ministeriums bei der Erstellung von Verordnungen zu begegnen und die Rechtsakte zu evaluieren. Auch Heinz Mayer wurde damals eingeladen, allerdings sei die Konstellation des Gremiums eher missglückt, wie er sich erinnert: "Das war eine Riesenrunde mit 30 Leuten, manche davon gar keine Rechtsexperten. Ein produktiver Austausch war da kaum möglich." Individuell sei er zwar hie und da noch kontaktiert worden, insgesamt habe man sich um die Beiziehung juristischer Expertise aber zu wenig gekümmert, sagt Mayer.

Der Gesundheitsminister appellierte am Samstag an die Bevölkerung, sich durch die aktuellen rechtlichen Diskussionen "nicht verwirren zu lassen" und weiterhin Mund-Nasen-Schutz zu tragen sowie die anderen Hygienemaßnahmen einzuhalten. Die Maskenpflicht in Geschäften gelte zum Schutz von Risikopersonen in "spezifischen systemrelevanten Bereichen" – und sei auch laut dem Fachgutachten "sachlich gerechtfertigt" und "für die Bevölkerung nachvollziehbar", verteidigte Anschober die Verordnung. (Theo Anders, Katharina Mittelstaedt, 1.8. 2020)