Henrike Brandstötter: "Die Linke meint, beim Thema Feminismus eine Deutungshoheit zu haben."

Foto: Neos

Die Neos und feministische Aktivistinnen, das harmoniert noch nicht so. Das zeigte sich in den letzten Jahren etwa rund um das Frauenvolksbegehren und jetzt bei der Neuausschreibung der Salzburger Frauenhäuser, die von Aktivistinnen und Gewaltschutzexpertinnen scharf kritisiert wurde. Die Neos sprechen hingegen davon, dass es im Gewaltschutz neue Herausforderungen gebe und es deshalb auch neue Konzepte geben müsse.

STANDARD: Im Juli zeigten die Arbeitsmarktzahlen, dass der Frauenanteil bei der Corona-bedingten Arbeitslosigkeit bei 85 Prozent liegt. Was müsste man jetzt dagegen tun?

Brandstötter: Dass es so viele Frauen sind, hat auch mit den Branchen zu tun, in denen sie arbeiten. Diesen Branchen muss generell geholfen werden, der Gastronomie, der Hotelbranche oder auch der Kongressbranche. Da wird es noch Hilfen über den Dezember 2020 hinaus brauchen. Es liegen Vorschläge am Tisch, und diese müssen diskutiert werden, von Arbeitszeitverkürzung bis zum degressiven Arbeitslosengeld, was übrigens ein Neos-Vorschlag war. Das alles kann man ideologiebefreit diskutieren.

STANDARD: Arbeitszeitverkürzung ist eine alte feministische Forderung. Das Argument lautet: Wir werden eine faire Aufteilung der unbezahlten Sorge- und Familienarbeit nur erreichen, wenn alle mehr Zeit dafür haben, anstatt sie Frauen zuzuschieben – mit allen finanziellen Nachteilen. Was halten Sie davon?

Brandstötter: Also erst einmal ist es eine linke Forderung. Außerdem liegt sie einer falschen Annahme zugrunde: Arbeit ist kein Kuchen, der immer gleich bleibt und den man halt anders aufteilen muss. Wir als Liberale haben die Position: Arbeit schafft Arbeit. Denn je mehr Menschen arbeiten, desto mehr Arbeit wird geschaffen. Ich wünsche mir für Frauen vor allem, dass sie aus der Teilzeitfalle herauskommen, die viele Probleme wie weniger Pensionen oder Abhängigkeit vom Partner mit sich bringt. Ein Aspekt wird bei der Teilzeit immer vergessen: Wenn Frauen wegen der Kinder Teilzeit arbeiten, dann kümmern sie sich meistens auch um den ganzen Haushalt und alles, was so zu tun ist. Schließlich sei sie ja deswegen in Teilzeit. Unter dem Strich bedeutet das: Frauen arbeiten insgesamt viel mehr, sie können aber nicht mal eine Debatte mit ihrem Partner darüber führen, weil sie ja genau wegen dieser Arbeiten in Teilzeit wären. Wenn Frauen Vollzeit arbeiten, dann muss man mit dem Partner ausdiskutieren, wie man sich diese Arbeiten aufteilt.

STANDARD: Aber die bezahlte und unbezahlte Arbeit wird dadurch nicht weniger. Ist es nicht einfach zu viel Arbeit, wenn Eltern Vollzeit arbeiten? Dann wird die unbezahlte Arbeit halt an Frauen in prekären Beschäftigungsverhältnissen ausgelagert.

Brandstötter: Deshalb müssen auch viel mehr Väter in Karenz und in die Betreuung gehen. Für Unternehmen muss es selbstverständlich werden, dass auch Männer in Teilzeit gehen. Allerdings nur für einen gewissen Zeitraum, denn sowohl Männer als auch Frauen machen sich durch Teilzeit abhängig vom Partner. Meine Freiheit, vor allem die als Frau, beginnt bei meiner eigenen Geldbörse, bei der finanziellen Unabhängigkeit.

STANDARD: Noch mal zurück zum degressiven Arbeitslosengeld: Wenn Frauen derzeit mehr von Arbeitslosigkeit betroffen sind, trifft das ja genau sie.

Brandstötter: Warum? Sie sollen ja nicht lange arbeitslos sein. Wenn man von Arbeitslosigkeit betroffen ist, muss man eine Miete zahlen, hat Fixkosten. Wenn dann mein Einkommen plötzlich auf 55 Prozent herabsinkt, dann ist es einfach zu wenig. Deshalb braucht es am Anfang mehr, damit man nicht gleich in eine Schuldenfalle gerät und freigespielt für die Jobsuche ist. Wenn man sich ständig damit befassen muss, wie man die Miete bezahlen soll, hat man den Kopf für die Jobsuche nicht frei.

STANDARD: Dass man rasch einen Job findet, ist der Idealfall. Es klingt aber ein wenig nach Bestrafung, wenn das Arbeitslosengeld weniger wird, wenn man länger für die Jobsuche braucht. Dabei liegt es gerade in Krisenzeiten oft nicht am Einsatz der Leute, sondern eben an der Krise.

Brandstötter: Natürlich ist man Teil eines gesellschaftlichen Umfelds, einer Krise, einer Pandemie. Deshalb braucht es gute Hilfen und Unterstützungen. Nichtsdestotrotz glauben und appellieren wir als Liberale an die Eigenverantwortung. Auch wenn man nicht alle Faktoren beeinflussen kann, liegt es auch an mir, ob ich mir einen Job suche oder eben nicht.

STANDARD: Liberale Parteien plädieren für weniger Staat und, wie Sie es eben geschildert haben, für eine stärkere Eigenverantwortung. Muss nicht gerade Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsvorgaben der Staat regeln? Das kann der Markt nicht.

Brandstötter: Das behaupten wir Neos auch gar nicht. Die Menschen müssen möglichst unbehelligt und frei von Zwängen leben können, aber wenn es zu einer Krise kommt, sei es eine individuelle oder eine staatliche Krise, dann braucht es einen starken Staat, der da ist und einspringt, das ist seine Aufgabe. Ob in der Krise jetzt alles so perfekt vom Staat gelöst worden ist, das wage ich übrigens zu bezweifeln. Ein Staat, der davon spricht, dass es tausende Tote geben wird und dass jeder bald jemanden kennen werde, der an Covid gestorben ist, der beschließt, Bundesgärten zuzusperren, um den Wienern auf die Nerven zu gehen, das ist kein guter starker Staat.

STANDARD: In den letzten Jahren sind feministische Aktivistinnen und die Neos nicht gut miteinander zurechtgekommen. Woran liegt das?

Brandstötter: Wir waren zum Beispiel am Anfang auch beim Frauenvolksbegehren dabei und unterstützen den Großteil der Forderungen. Doch nach und nach sind Forderungen dazugekommen, die unserer Meinung nach nicht in ein Frauenvolksbegehren gehören, wie etwa die Arbeitsverkürzung auf 35 Stunden. Das könnten auch alleinstehende Männer fordern und gehört unserer Meinung nach nicht in ein Frauenvolksbegehren. Wir hatten auch den Eindruck, dass es für die Linke ganz okay war, dass wir uns zurückgezogen haben. Sie meint beim Thema Feminismus eine Deutungshoheit zu haben.

STANDARD: Der Betrieb der Frauenhäuser in der Stadt Salzburg und in Hallein wurde neu ausgeschrieben. Eine Petition gegen die Ausschreibung haben 11.000 Menschen unterschrieben. Warum diese Neuausschreibung?

Brandstötter: Wir sind uns alle einig, dass Gewaltschutz wichtig ist. Es muss ein ausreichendes Budget und Klarheit geben, was mit dem Geld für Gewaltschutz passiert. Das war einer der Gründe, den Gewaltschutz in Salzburg auf neue Beine zu stellen. Die Herausforderungen für den Gewaltschutz haben sich in den letzten Jahrzehnten verändert, etwa wird es immer schwerer, Adressen von Frauenhäusern geheim zu halten, sei es wegen sozialer Netzwerke oder der Möglichkeit, Kinder über das Handy zu verfolgen. Eine Möglichkeit, dem besser zu begegnen, ist, dass man einerseits für Hochrisikofälle geheime Adressen hat, die nur ganz wenige Menschen kennen. Andererseits gibt es ein Konzept, wie es schon in Graz erprobt wurde, dass es zusätzlich auch ein offenes Wohnen mit einem eigenen Sicherheitskonzept gibt. Eine Mischung aus diesen beiden Angeboten halte ich für gut. (Beate Hausbichler, 2.9.2020)