360 Mitarbeiter der ATB in Spielberg bangen um ihre Zukunft. ATB zählt zu den größten Arbeitgebern der Region.

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Spielberg – ATB rennt seit Eröffnung des Insolvenzantrags die Zeit davon. Am 10. August beginnt der zweiwöchige Betriebsurlaub des obersteirischen Motorenherstellers. In dieser Zeit sollten die ersten Anlagen nach Osteuropa verfrachtet werden, was 200 der in Summe 400 Mitarbeiter in Spielberg den Job kostet.

Für Herbst ist der zweite große Abbau geplant, spätestens im Februar soll das gesamte Werk aufgelöst sein. Die Belegschaft kündigt Widerstand an und stellte die Weichen auf Streik. Munition gibt ihr der Plan des chinesischen Eigentümers Wolong, ATB noch vor der ersten Gläubigerversammlung zu demontieren.

Im Kern erhalten

Nun melden Investoren Interesse am Unternehmen an, erfuhr DER STANDARD. Konkret ist es die Hamburger Innovation Holding HIH. Der Private Equity Fonds sieht die Chance, Standort, Know-how und Jobs der ATB zu erhalten, sagt ihr Geschäftsführer Axel Bauer. Bauers Partner ist der deutsche Sanierer Peter Rasenberger, Gründer der Grantiro. Zu dessen jüngsten Engagements zählt der Traditionsbetrieb Tetenal in Norderstedt, der nach seiner Pleite über ein Management-Buy-out neu Fuß fasste. Tetenal entwickelte einst Spezialchemie für analoge Fotografie, mittlerweile liefert er auch Chemikalien für Biogasanlagen. Engagiert hat sich Rasenberger auch für den Lichtspezialisten Ledvance,

Ziel sei es, Industrie in Europa in ihrem Kern zu erhalten, mit ihr jedoch auf zukunftsträchtige Märkte umzusatteln, sagt Bauer. Sein Unternehmen schmiede gemeinsam mit den Mitarbeitern mehrere Alternativen für bestehende Anlagen. Setzen die Eigentümer diese nicht um, biete sich die HIH mit eigenem Kapital als Investor an. Schafft der Betrieb den Turnaround, ziehe sie sich zurück.

Schlüsseltechnologie für Europa

In Elektromotoren, wie sie ATB in Spielberg produziert, sieht Bauer eine Schlüsseltechnologie für Europa. "Wir wollen die Belegschaft fragen, was sie kann und daraus ein tragfähiges Geschäftsmodell entwickeln." Rasenberger erinnert die Methode, Maschinen quasi über Nacht zu demontieren, an Wild-West-Manieren. Er wolle nicht mit Erwartungen und Hoffnungen der Belegschaft spielen, ein Versuch sei die Rettung des Werks aber in jedem Fall wert, sagt er dem STANDARD. "Wir sind keine Hasardeure, wir wollen uns in Ruhe ansehen, was getan werden kann, um dem Standort zu erhalten.

Bauer und Rasenberger nehmen nun Kontakt mit dem steirischen Unternehmen und seinem Eigentümer Wolong in China auf.

Die beiden sind der bisher einzige Investor, der offiziell Interesse für die ATB zeigt. Masseverwalter Gernot Prattes hat ein Verwertungsverfahren in die Wege geleitet und ist bemüht, die Ängste der Belegschaft vor einem vorzeitigen Abbau der Maschinen zu zerstreuen: "Hier wird nichts übers Knie gebrochen." Das geplante Bieterverfahren stehe jedem Interessenten offen.

Seit Jahren Verluste

ATB steckt in Spielberg seit Jahren in der Verlustzone. Mitbewerber lagerten die Produktion von Industriemotoren zusehends in Billiglohnländer aus, der Kostendruck stieg, zugleich aber auch der Bedarf an Spezialisierung durch individuellere Kundenwünsche. Der Sanierungsplan nach der Insolvenz sieht vor, den Standort zu erhalten, allerdings nur die Bereiche Forschung & Entwicklung, Vertrieb und Service. Die Fertigung mit ihren 360 Beschäftigten soll aufgelöst und nach Serbien und Polen verlagert werden.

Die Geschichte des Betriebs war über die Jahrzehnte immer wieder von Turbulenzen geprägt. Einstige Eigentümer wie Bauknecht und die A-Tech-Gruppe gingen pleite. Um große Teile der Belegschaft, darunter viele Frauen, zu retten, verzichteten mitunter sämtliche Mitarbeiter solidarisch auf Lohn.

Corona als Vorwand?

ATB ist der größte Arbeitgeber Spielbergs, viele Familien sind dort in mehreren Generationen beschäftigt. Seit 2011 gibt Wolong den Schritt vor. Investiert wurde in den Standort seither nur noch spärlich. Der Verfall sei bewusst in Kauf genommen worden, klagen Mitarbeiter. Sie halten die Corona-Krise für einen Vorwand der Eigentümer, um sich des Werks schnell und billig zu entledigen. Die von der Belegschaft angestrebte Verlängerung der Kurzarbeit wurde zuletzt nicht mehr beantragt. Mit der Ende Juli angemeldete Insolvenz erübrigt sich für Wolong ein möglicher Sozialplan. (Verena Kainrath, 2.8.2020)