100 Jahre Salzburger Festspiele bescheren auch dem "Jedermann" ein Ständchen plus Geburtstagstorte: Caroline Peters und Tobias Moretti.
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Wer hätte gedacht, dass dieses Stück jemals eine solche Karriere machen würde: Hugo von Hofmannsthals "Jedermann", die holzschnittartige Moralpredigt vom unschönen Sterben eines reichen Mannes, kam bei der Gründung der Salzburger Festspiele 1920 ja nur als zweite Wahl ins Spiel. Der eigentlich geplante Text "Das Salzburger große Welttheater" wurde nicht rechtzeitig fertig. "Kein Abend, an den man zurückdenken wird", befand gar die "Nationalzeitung" bereits zur Uraufführung 1911 im Berliner Zirkus Schumann. Und nun läuft er bereits seit 100 Jahren. Wo gibt’s denn sowas!

Eben nur in Salzburg. Der "Jedermann" ist das populäre Herzstück des Festivals, ein Geschenk an das christliche Selbstverständnis seines Publikums, eine Märchenallegorie, die nie ganz säkular werden wird. Seit jeher wird indes am "Jedermann" herumgemosert, er sei schon 1920 mehr antiquarisch als gegenwärtig gewesen. Aber unterkriegen ließ er sich nie. Die Erfolgsgeschichte hat ein tragfähiges Fundament: Katholiken und solche, die es gerne wären, lassen sich bereitwillig zwei Stunden ins Gewissen reden.

Übe dich im Understatement

Und man hat ja auch Mitleid mit dem exemplarischen Menschen, dem der Tod unschöne Aussichten verkündet. Denn in Michael Sturmingers Inszenierung hat Jedermann den Gestus des haltlos prassenden Magnaten längst abgelegt (so wie ihn noch Peter Simonischek oder Nicholas Ofczarek verköpert hatten) und ist mit Tobias Moretti zu einem gemäßigten Salonhelden geworden, der seine Schwächen früh, aber immer noch zu spät, erkennt. Ein Protagonist aus der Generation Bill Gates, der es eigentlich wissen müsste: Geldsack sein allein bringt es nicht; sei dir deiner Privilegien bewusst und übe dich im Understatement. Dass er seinen Reichtum dennoch anhimmelt und sich dessen rechtens wähnt, ist Konfliktkern des Titelhelden.

Das Publikum zeigte sich mit Standing-Ovations begeistert.
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Die schlanke Regiearbeit Sturmingers, in der die zwielichtige, Glockenschläge zu Jazztrompeten mutieren lassende Musik von Wolfgang Mitterer besondere Stimmung erzeugt, hat sich zum 100-Jahr-Jubiläum einen Scherz erlaubt: Auf einer dreistöckigen, rosaroten Geburtstagstorte trällert die Buhlschaft (neu: Caroline Peters) ein "Happy Birthday" im lasziv-ruchlosen Stil von Marilyn Monroe.

Das passt hervorragend zum leichtsinnigen Verhältnis des Paares. Aber man macht das auch nur als Caroline Peters ungestraft. Die über jeden Lieblichkeitsverdacht erhabene Burgschauspielerin intoniert das Lied tief wie ein Tier und gibt dem historisch aufgeladenen Ständchen Monroes für US-Präsident John F. Kennedy 1962 die nötige morbide Grundnote. Und so wie Kennedy damals scherzhaft meinte, nun in Politpension gehen zu können, so wird bekanntlich Tobias Moretti nach dieser Saison in den Jedermann-Ruhestand treten.

Corona-Hoppala

Nach dem spontanen, einem aufkommenden Sturm mit dramatischem Gewölk (Max Reinhardt, dem Festivalgründer und Großtheaterfreund, hätte das wohl gefallen) geschuldeten Umzug vom Domplatz ins Große Festspielhaus, verlief die Premiere hochkonzentriert. Trotz ein paar Corona-Hoppalas: Besonders spitzfindige Zuschauer steuerten geduckt, aber zielstrebig, kurz vor Beginn noch bessere Plätze an (die der lockeren Sitzplatzordnung wegen auch ausreichend vorrätig waren) und wurden unter strengen Anweisungen der Saalwärter und hämischem Gekicher rundherum auf ihre Plätze verwiesen.

Zu den aktuellen Sicherheitsvorkehrungen gehören sitzplatzbezogene personalisierte Eintrittskarten. Ein Opernglas wäre die solidarischere Lösung. (Margarete Affenzeller, 2.8.2020)