Die italienische Trikolore ziert nicht umsonst die neue Brücke, deren Bau so ganz anders verlief, als es Pessimisten vorhergesehen hätten.

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Fast genau zwei Jahre ist es her, dass der Einsturz einer Autobahnbrücke in der Hafenstadt Genua ganz Italien erschütterte. Beim Crash des alten Morandi-Viadukts am 14. August 2018 haben 43 Menschen ihr Leben verloren; hunderte Einwohner Genuas, deren Häuser unter der Brücke standen, wurden obdachlos.

Auch das Vertrauen vieler Italienerinnen und Italiener in das Funktionieren ihres Staates nahm Schaden: Schon kurz nach dem Desaster stellte sich heraus, dass an der gewagten, aus dem Jahr 1967 stammenden Konstruktion Wartungsarbeiten vernachlässigt, Kontrollen oberflächlich durchgeführt und unzählige Warnungen in den Wind geschlagen worden waren. Genuas Staatsanwälte ermitteln gegen insgesamt 71 Personen, darunter Führungskräfte des privaten Autobahnbetreibers Autostrade d’Italia Spa sowie gegen Beamte des Ministeriums für Verkehr und Infrastruktur.

Am Montag wird nun das "Wunder von Genua", wie es die Einheimischen nennen, eingeweiht. Die neue, 1067 Meter lange Brücke wird in einer durchschnittlichen Höhe von 45 Metern die östlichen mit den westlichen Stadtteilen Genuas verbinden. Der San-Giorgio-Viadukt, wie das Bauwerk heißt, ist in rekordverdächtiger Zeit aufgebaut worden – und das trotz Corona-Pandemie und Lockdown.

Rekordzeit

Vor 542 Tagen war mit dem Abbruch der stehengebliebenen Teile der alten Brücke begonnen worden, vor 410 Tagen erfolgte der erste Spatenstich an den Fundamenten für die Pfeiler des neuen Viadukts. Die Baukosten betragen laut offiziellen Angaben lediglich 202 Millionen Euro. Für die 43 Opfer des Brückeneinsturzes wird am Fuß des neuen Viadukts eine kreisrunde, mit Bäumen bepflanzte Gedenkstätte errichtet.

Genuas neues Wahrzeichen ist zu einem guten Teil das Verdienst von Bürgermeister Marco Bucci, der von der Regierung als Sonderkommissar für den Wiederaufbau eingesetzt und mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet worden war. Bucci sorgte dafür, dass zunächst bis zu 1000 Menschen auf der Baustelle und in den Projektierungsbüros arbeiten konnten, ohne von der sonst lähmenden Bürokratie behindert zu werden.

Nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie im März waren immer noch zwischen 200 und 300 Personen auf der Baustelle beschäftigt – rund um die Uhr, in der Nacht unter Flutlichtbeleuchtung. Insgesamt sind in der Fahrbahnplatte und in den 18 Brückenpfeilern 24.000 Tonnen Stahl verbaut worden – dreimal so viel wie im Eiffelturm.

Der Einsturz der Brücke war zu einem Symbol geworden für ein Italien mit bröckelnden, vernachlässigten Infrastrukturen, für private und staatliche Gleichgültigkeit und Verantwortungslosigkeit. Der schnelle und effiziente Neubau in Stahl und Beton dagegen steht für ein Land, das oft dann zu herausragenden Leistungen fähig ist, wenn die Not am größten ist.

Das sieht auch der Genueser Stararchitekt Renzo Piano so, der die neue Brücke – gratis – entworfen hat. Aber: "Es ist zwar tröstlich zu sehen, wozu wir imstande sind, aber ich würde mir wünschen, dass wir nicht immer erst auf ein Unglück warten müssen", betonte Piano in einem Interview mit der Zeitung "La Repubblica".

Schönheitsfehler

Die neue Brücke wird weiterhin von der privaten Autobahngesellschaft Autostrade per l’Italia (Aspi) betrieben – also von demjenigen Unternehmen, das laut öffentlicher Meinung maßgeblich für den Einsturz des Morandi-Viadukts verantwortlich war. (Dominik Straub aus Rom, 3.8.2020)